DER GREIFENMAGIER: Gesetz der Erde
der andere zum Reden provozieren sollte: Er weigerte sich, selbst noch etwas zu sagen, was die greifbare Anspannung überspielt hätte, die zwischen ihnen herrschte.
»Du solltest den Wall aufsuchen«, sagte Kairaithin unvermittelt. Sein schwarzer Blick ruhte auf Bertauds Gesicht, aber die Worte waren an Jos gerichtet. Er fuhr fort: »Du solltest mit Keskainiane Raikaisipiike sprechen. Mit Kes. Vielleicht hört sie auf dich. Weder Opailikiita Sehanaka Kiistaike noch Ruuanse Tekainiike sind wichtig. Kes ruft den Wind für alle und bestimmt seine Richtung. Wenn sich Kes einem anderen Wind zuwendet, werden alle Magier des Feuers ihr folgen, und der Wall kann womöglich doch bestehen bleiben.«
»Ich habe schon mit ihr geredet!«, protestierte Jos. »Du weißt, dass sie nicht auf mich hört.« Dann stockte er, denn Kairaithin wusste dies tatsächlich. Verspätet wurde Jos klar, dass der Greifenmagier mit Fürst Bertaud sprechen wollte und nicht wünschte, dass Jos mithörte, was sie miteinander zu besprechen hatten. Jos blickte von einem zum anderen und stellte fest, dass auch Fürst Bertaud Kairaithins Absicht erkannte.
Bertaud wirkte jedoch nicht überrascht. Er blickte weiter zur Seite, hinab zum Wall, und hatte damit sowohl Jos als auch Kairaithin die Schulter zugewandt. Seine Miene war verschlossen und abweisend. Jos dachte, dass der Mann weder zornig noch bestürzt, noch gar von Angst erfüllt war. Jedes dieser Gefühle hätte Jos verstanden. Er verstand jedoch nicht, was er in diesem starren Gesicht erblickte. Er wusste nicht, welch seltsameBeziehung zwischen dem Farabiander Fürsten und dem Greifenmagier bestand, aber er war sich auf einmal sicher, dass sie wichtig war.
Jos hätte am liebsten Einwände erhoben und darauf bestanden, hier bei der Hütte zu bleiben. Er wollte so gern erfahren, was die beiden einander zu sagen hatten und was seinen Ohren verwehrt bleiben sollte. Mit keinem Einwand konnte er jedoch etwas erreichen, wenn Kairaithin ihm nicht zuhörte. Der Greif konnte den Farabiander Fürsten einfach woanders hinbringen, wenn er unter vier Augen mit ihm reden wollte. Oder er konnte Jos befehlen fortzugehen – und Jos wäre nicht in der Lage, sich dem zu widersetzen.
Unerwartet schlug Fürst Bertaud vor: »Vielleicht könnten wir uns alle hinab zur Mauer begeben. Wir könnten alle mit Kes reden. Ich bin neugierig darauf, sie zu sehen.« Er warf Jos einen Blick zu. »Wenn du sagst, dass sie uns vergessen hat – dass sie das Land der Erde vergessen hat –, dann glaube ich dir natürlich. Trotzdem würde ich gern mit ihr reden.«
Jos stellte fest, dass er gern gewusst hätte, was der Fürst aus Farabiand mit Kes zu besprechen hätte – und welche Antwort ihm Kes gäbe. Er nickte wortlos.
Bertaud wandte sich erneut Kairaithin zu. »Diese jungen Greifen waren deine Schüler, nicht wahr? Hast du inzwischen so wenig Einfluss auf sie? Oder sind sie stark genug, um dich herauszufordern? Ich gestehe, mich würde das erstaunen.«
Kairaithin antwortete darauf nicht sofort etwas. Er musterte Fürst Bertaud aufmerksam, als fragte er sich wie Jos, was wohl hinter diesen Bemerkungen steckte. Zu guter Letzt erwiderte er: »Weder Ruuanse Tekainiike noch Opailikiita Sehanaka Kiistaike könnten mich herausfordern. Verständlich, dass dich die Vorstellung erstaunt. Deine Kes hingegen ist in jeglicher Hinsicht wirklich zu Keskainiane Raikaisipiike geworden. Wer ihrnahesteht, nennt sie vielleicht weiterhin Kereskiita, das Feuerkätzchen, aber sie ist kein Kätzchen mehr.«
Der Greifenmagier blickte kurz entlang der zerklüfteten Felsen des Passes hinab auf das weiße Feuer, das rings um Kes loderte und von ihr aus in den Riss des Walls strömte, um daran zu rütteln. Endlich fuhr er leise fort: »Nun, ich dachte, dass sie mich eines Tages vielleicht herausfordern könnte. Dieser Tag ist längst gekommen. Ich hätte aus diesem Menschenkind niemals eine Kreatur des Feuers machen sollen. Obwohl das nicht der größte Fehler war, den ich vor sechs Jahren beging.« Er richtete den Blick kurz auf Bertaud und wandte ihn wieder ab.
Bertaud sagte leise, sogar sanft: »Weder können wir die Zeit zurückdrehen noch erkennen, was wohl geschehen wäre, hätten wir damals anders gehandelt. Wir alle tun unser Bestes. Wer kann schon sagen, dass wir nicht zu diesem Ende gelangt wären, dein Volk und meines, egal wie wir gehandelt hätten?«
Nach einer fast unmerklichen Pause antwortete der Greifenmagier: »Nicht hierzu.
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