DER GREIFENMAGIER: Gesetz der Erde
ruhen und er selbst schlafen sollte. Und die Dienstboten zeigten sich unermüdlich bestrebt, diesen Anweisungen Geltung zu verschaffen. Da er schon den ganzen Tag lang geschlafen hatte, war Tan jetzt gelangweilt, nervös und durch und durch gereizt.
Er blickte auf, als vor der Tür auf einmal gemurmelt wurde. Er hörte natürlich die Stimmen der Wachleute heraus, aber auch die einer Frau. Vielleicht war es eine Dienstbotin, die letztlich doch ein oder zwei Bücher brachte, hoffte er; und er bewegte sich unbehaglich und wünschte sich, er hätte sich richtig hinsetzen können.
Aber es war keine Dienerin, die eintrat.
»Maianthe!«, rief Tan aus. Sofort reagierte er verlegen, weil er so verblüfft gewesen war, dass er seine guten Manieren vergessen hatte – tatsächlich war er verlegen darüber, dass ihn Maianthes Kommen überhaupt erstaunte. Sicherlich war es nicht im Mindesten bemerkenswert, dass Maianthe kam und sich von seiner fortschreitenden Genesung überzeugte. In bescheidenerem Ton fuhr er fort: »Meine hochverehrte Dame.« Er kämpfte erfolglos mit dem Bettzeug, denn er hatte entschieden, sich letztlichdoch aufzusetzen, ob Iriene damit nun einverstanden war oder nicht.
Erfrischenderweise befahl ihm Maianthe nicht, er möge sich wieder flach hinlegen. Offenkundig hatte man ihr nicht gesagt, dass er liegen bleiben sollte. Vielmehr half sie ihm, sich aufzusetzen, und arrangierte die Kissen so, dass er es in dieser Haltung bequemer hatte. Dann zog sie einen Stuhl ans Bett und setzte sich auf die Kante, wie ein Vogel, der sich fluchtbereit hielt. »Euer Knie?«, fragte sie besorgt. »Hat die hochverehrte Iriene es geheilt? Es war doch nicht zu stark verletzt?«
»Mir wurde gesagt, dass es gut heilt, sofern ich vorläufig davon Abstand nehme, es übermäßig zu benutzen«, versicherte Tan ihr. »Ich habe keine Ahnung, warum sich anscheinend alle verpflichtet fühlen, diese abschließende Klausel zu betonen.«
Maianthe lachte, aber es klang angespannt, und Tan wurde klar – er hätte es von vornherein bemerken sollen –, dass sich die junge Frau nicht nur um sein Wohlergehen sorgte. Etwas hatte sie offenkundig erschreckt. Etwas ganz anderes. Er versuchte sich vorzustellen, was Maianthe Angst eingejagt oder sie zumindest beunruhigt haben könnte, mehr noch als feindliche Spione und Magier, die in ihrem Haus herumschlichen und Menschen entführten. Seine Vorstellungskraft versagte. »Hochverehrte Dame?«, fragte er vorsichtig.
»Oh, Maianthe, bitte!«, bat sie ihn.
Sie tändelte nicht mit ihm. Tan war beinahe schon zu der Einsicht gelangt, dass Maianthe, so unmöglich es auch schien, gar nicht wusste, wie man tändelte. Sie zog einfach Ungezwungenheit vor und sagte dies auch auf ihre direkte Art. Tan lächelte. »Ich vermute, dass es möglich sein sollte, die Ereignisse der vergangenen Nacht als eine Art des Kennenlernens zu deuten. Vielleicht wurden wir einander nicht korrekt vorgestellt, wohl aber gründlich. Also vermute ich, dass wir einander mit dem Namenanreden können, wenn es Euch recht ist. Und dann könnt Ihr mir vielleicht auch erzählen, was Euch Sorgen bereitet?«
»Oh, nun ja …« Maianthe musterte ihn vorsichtig. »Es ist noch etwas anderes geschehen. Soll ich es Euch erzählen, oder bedürft Ihr der Ruhe?« Sie biss sich auf die Lippe. »Ihr müsst wahrscheinlich ruhen.«
Tan war nicht erpicht darauf, wieder allein der Langeweile ausgeliefert zu werden, und erklärte daher: »Man hat von mir erwartet, den ganzen Tag lang nichts weiter zu tun, als mich der Ruhe hinzugeben. Seid so freundlich und erzählt mir alles.« Er zog erwartungsvoll eine Braue hoch, während er die junge Frau ansah.
»Nun …« Maianthe zögerte.
Tan hatte den Eindruck, dass sie eher ihre Gedanken ordnete und es ihr nicht etwa widerstrebte, ihm die Nachricht zu erzählen. Er fragte sich, was sie so beunruhigt haben konnte. Es fiel ihm schwer, die bei dem Einsatz in Linularinum so gefasste junge Dame mit dieser Zaghaftigkeit in Verbindung zu bringen. Er bemühte sich um einen aufmunternden Gesichtsausdruck.
»Mein Vetter …«, begann Maianthe und brach ab. »Ich weiß nicht … Kennt Ihr Euch aus?«
Und wie sollte man auf eine solche Frage antworten? Tan entschloss sich, zu erwidern: »Natürlich solltet Ihr mir gegenüber nichts zur Sprache bringen, was Euer Vetter Euch im Vertrauen erzählt hat.« Es war schließlich wichtig, einen guten, ehrlichen Eindruck zu erwecken, wenn man wollte, dass einem jemand
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