DER GREIFENMAGIER: Gesetz der Erde
im Delta einzugreifen? Und vielleicht hat er nur beschlossen, Tan als Ausrede zu benutzen? Ist das möglich?«
Tan hielt das nicht für möglich. »Kohorrian ist ein bisschen zu schlau für einen solch unverfrorenen Schritt, denke ich. Nicht, wenn ihm doch bekannt ist, wie wenig das Delta einen Versuch zu schätzen weiß, seine Zugehörigkeit zwangsweise zu ändern.«
»Ich weiß nicht«, sagte Maianthe und wandte sich an Geroen. »Ich frage mich, ob Ihr vielleicht jemanden zu den Linulariner Truppen schicken könntet? Mit einem Stab, meine ich.« Sie bezog sich auf den weißen Kurierstab, der in diesem Zusammenhang für eine Aufforderung zu Verhandlungen stand. »Er könnte fragen, was sie eigentlich möchten. Er könnte herauszufinden versuchen, ob der Mann, der dahintersteckt, vielleicht dieser Feind von Tan ist. Ich meine Istierinan. Oder vielleicht ist es doch jemand anderes. Oder man könnte herausfinden, ob Mariddeier Kohorrian persönlich uns provoziert – und wenn ja, warum. Oder zumindest, welchen Grund er dafür vorgibt. Ich schreibe einen Brief, den der Mann überbringen kann.«
»Ja, gut«, stimmte Geroen ihr zu. Er rieb sich mit einer großen Hand das Gesicht und blinzelte müde. »Ich hätte selbst daran denken sollen. Zumindest könnte es diese Linulariner Mistkerle stutzig machen. Bitte um Verzeihung …«
»Gut. Gut. In Ordnung. Dann schickt mir jemanden. Und Tan, seht Ihr mal nach, ob Ihr Papier in diesem Schreibtisch findet? Oder nein! Ich denke nicht, dass Ihr etwas anfassen solltet, womit Rechtskundige arbeiten …«
»Nein«, stimmte Tan ihr zu. Er war allerdings erschrocken über den großen Zorn, den er bei dieser beiläufigen Aussage verspürte: Ich denke nicht, dass Ihr etwas anfassen solltet, womit Rechtskundige arbeiten … Er verbarg diese Wut, unterdrückte sie: Wie dumm das war, und was für eine unvernünftige Reaktion! Die Art von Gefühlsreaktion, die einem das Leben kosten konnte, wenn man sie nicht beherrschte. Es war in der Tat sinnvoll, sich vor der Anwendung der eigenen Gabe zu fürchten; Maianthe hatte völlig recht. Es war ohnehin nicht ihre Schuld, sondern die Istierinans. Tan schloss kurz die Augen und holte Luft, ging zu Maianthe und beugte sich über ihre Schulter. »Vielleicht kann ich Euch ein paar Redewendungen für diesen Brief vorschlagen.«
»Ja, bitte. Geroen, sucht bitte einen Kurier und einen weißen Stab für ihn. Ich bin sicher, dass mein Vetter einige in seinem Arbeitszimmer aufbewahrt. Und sendet bitte gleich Nachricht, wenn etwas passiert, ja? Und schickt jemand anderen los, um dem Hauptmann der Königin zu sagen, dass ich ihn sehen möchte.«
Der Hauptmann reckte die Schultern. »Ja, meine Dame.«
Sie erhielten jedoch nie die Gelegenheit, den Brief abzuschicken oder auch nur mit dem Hauptmann der königlichen Wachleute zu reden. Maianthes Idee, einen Brief zu schreiben, war gut gewesen, und billigerweise hätte Zeit sein müssen, ein Dutzend Abschriften zu erstellen, hätte sie dies denn gewünscht.
Aber Istierinan oder sonst jemand hatte offenkundig Männer flussaufwärts geschickt, damit sie mit Booten über den Sierhanan setzten, und dies war lange vor den ersten drohenden Gesten Richtung Brücke geschehen. Linulariner Soldaten mussten an einem stillen, dunklen Abschnitt des Flusses nach Farabiand vorgedrungen sein, wo niemand aufpasste; vielleicht hatten die Linulariner Befehlshaber ja zuerst eine kleine Einheit entsandt, um einen Brückenkopf zu errichten und zu verhindern, dass irgendeine Warnung nach Süden gelangte – denn aus Norden und Osten drangen Linulariner Soldaten zuerst nach Tiefenau vor.
»Die Ereignisse dieser Nacht spotten jeder Vorstellungskraft! Wie ich mir wünschte, Bertaud wäre hier!«, rief Maianthe leidenschaftlich, als diese jüngsten Nachrichten eintrafen. Sie starrte Tan verzweifelt an.
Tan zuckte hilflos die Achseln, ohne darauf hinzuweisen, dass die Nacht selbst noch lange nicht vorüber war. Er erklärte jedoch: »Obwohl die Anwesenheit Eures Vetters hier wünschenswert wäre, Herrin Maianthe, so schlagt Ihr Euch doch sehr gut.«
Maianthe starrte ihn weiterhin an. Dann aber riss Geroen die Tür auf und marschierte herein, ehe sie etwas sagen konnte, falls sie dies denn vorgehabt hatte.
Ihre Majestät, so setzte ihnen Geroen auseinander, hatte eingewilligt, dass sie und ihre Töchter sich sofort gen Norden nach Sihannas zurückzogen. Naithe wollte zudem, dass Tan und Maianthe sie begleiteten.
Tan sagte,
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