Der Grenzgänger
Räumlichkeiten, in denen Wagner seinen Verlag betrieb. Irgendwie, ohne es zu wissen, hatte ich mir einen Buchverlag anders vorgestellt. Der Verlag war in einer normalen Wohnung untergebracht, in einigen offen stehenden Zimmern, arbeiteten Frauen konzentriert an Computern. Lediglich die Plakate mit Buchtiteln an den Wänden und die Regale mit Büchern aus dem Wagner-Verlag, die die Wände des Besprechungszimmer zierten, deuteten auf einen Buchverlag hin. Eine freundliche Mitarbeiterin hatte uns in den hellen Raum geführt, in dem wir auf Wagner warten sollten.
Interessiert blickte ich auf die Buchrücken und las Autorennamen, die mir nichts sagten. Fleischmann war in dieser, wahrscheinlich kompletten Sammlung der Verlagsveröffentlichungen nur einer von vielen Autoren. Sein Name fiel nicht weiter auf, was mich nachdenklich machte. Wie sollte ein normaler Mensch wissen, welche Qualität sich in den einzelnen Büchern befand? Alle sahen sie gleich gut und gleich schlecht aus, ihren Inhalt konnte man nur erahnen. Oder ich musste mich ganz auf die Werbung und die Besprechungen verlassen. Aber auch dabei konnte manche Perle der Literatur an mir spurlos vorübergehen. Ich konnte mich nicht daran erinnern, jemals einen Hinweis oder gar eine Besprechung eines Fleischmann-Romans in meiner Tageszeitung gelesen zu haben.
„Der Prophet gilt halt nichts in der eigenen Region“, bemerkte Böhnke gelassen, als ich ihn mit meinen Gedanken vertraut machte. „Fleischmann ist gut und hätte bestimmt seinen Weg gemacht.“ Er reichte mir eine Broschüre, die er vom Tisch aufgenommen hatte. „Wird Sie bestimmt interessieren.“
Die farbige Broschüre aus Hochglanzpapier beinhaltete ein Firmenporträt. Mit vielen Bildern und knappen Texten wurde der Werdegang des Wagner-Verlags und sein Programm dargestellt. Seit knapp zehn Jahren, so las ich, betrieb Wagner das Buchgeschäft. Er hatte sich zunächst auf Bildbände konzentriert, dann aber auch Romane verlegt; Belletristik, wie es so schön heißt. Ob dazu auch Kriminalromane gehörten, war eine Frage, die die Broschüre unbeantwortet ließ. Als ich allerdings die Buchbeschreibung näher betrachtete, fiel mir auf, dass ausschließlich einige Krimis in eine zweite Auflage gegangen waren. Mithin schien der wirtschaftliche Erfolg der Krimis größer zu sein als bei den anderen Titeln, die unter dem Begriff Belletristik firmierten.
Ein kräftiges Klopfen an der Tür unterband unser schweigsames Warten. Ein schlanker, großer Mann trat schwungvoll ein, ein sportlicher Typ Anfang fünfzig mit längerem, gewelltem, hellgrauem Haar, das über den Kragen des dunkelgrauen Rollkragenpullovers fast bis auf die Schultern fiel. Mit einem knappen „Wagner“, einem gewinnenden Blick und einem kräftigen Händedruck begrüßte uns der Verleger. Er schien mit sich und der Welt im Einklang, zufrieden in seinem Bücherreich, wie er uns durch sein Auftreten zu verstehen gab, als er uns in sein Arbeitszimmer geleitete. Kaffee und Kuchen hielt er auf einem Rolltisch bereit, die er uns herzlich anbot.
Wagner machte es sich hinter seinem modernen Schreibtisch aus Glas bequem. Eine Schreibunterlage, ein Telefon und einige Bücher, mehr lag nicht auf dem Arbeitsplatz des Herrn der Bücher. Wir saßen vor ihm und wurden ausgiebig gemustert. Schließlich lehnte Wagner sich mit den Ellbogen auf und stützte sein Kinn mit den Daumen ab. Mit klaren, braunen Augen sah er uns selbstbewusst an. „Was kann ich für Sie tun, meine Herren?“
„Sie können uns helfen, den Mörder von Renatus Fleischmann zu finden“, platzte ich heraus, bevor Böhnke antworten konnte. Wenn der Kommissar mich schon nicht in seine Überlegungen einbezog und mir gegenüber Geheimnisse hatte, wollte ich wenigstens hier einmal nach meinen Spielregeln das Geschehen lenken. Ich missachtete den funkelnden Blick meines Chauffeurs und betrachtete Wagner frech. „Normalerweise ist doch immer der Verleger der Mörder.“
Wagner hielt gelassen und mit einem süffisanten Lächeln meinem skeptischen Blick stand. „Wenn’s so einfach wäre, hätte die Polizei ruck, zuck jeden Mörder. Schublade auf, Täter raus und der Fall ist erledigt.“ Er hob mit gespieltem Bedauern die Arme. „Tut mir Leid, mein Herr, aber zum Mörder tauge ich nicht. Dafür bin ich wahrscheinlich zu feige.“ Wagner schien wegen meiner flapsigen Bemerkung nicht nachtragend zu sein. „Ich bin Ihnen gerne bei der Suche nach dem oder den Mördern Fleischmanns
Weitere Kostenlose Bücher