Der Grenzgänger
aus Huppenbroich, wie ich Böhnke bei meiner Begrüßung scherzhaft bezeichnete, machte ebenso wie ich nicht gerade einen ausgeschlafenen Eindruck, als er mit mir nach Baesweiler fuhr. „Lässt Sie Ihre Freundin nachts nicht in Ruhe oder was ist los?“, hänselte ich den Kommissar auf der langwierigen Fahrt über die Bundesstraße in Richtung Norden.
Doch er ging auf meine launischen Worte nicht ein. Böhnke winkte ungehalten ab und fluchte über den wie immer stockenden Verkehr. Grimmig und wortkarg steuerte er unser Ziel an.
Es schien angebracht, ihn nicht von der Seite anzusprechen, irgendeine Laus war ihm wohl über die Leber gelaufen. Er müsste selbst anfangen, dachte ich mir, lehnte mich in den Beifahrersitz zurück und betrachtete die geschlossene Häuserzeile entlang der Straße in Würselen.
Der Kommissar tat mir erst den Gefallen, als wir in Aisdorf an der Umgehungsstraße vor einer Ampel warten mussten. „Was meinen Sie? Warum fahren wir wohl zu Christian Maria Wagner?“, wollte er in ruhigem Tonfall von mir wissen. „Ist doch klar. Weil Wagner der Mörder ist“, antwortete ich wie aus der Pistole geschossen und bemerkte die Verwunderung in Böhnkes Gesicht. Ich musste lachen. „Das ist in fast allen Kriminalromanen der Fall, in denen ein Schriftsteller der Gemeuchelte ist. Sein eigener Verleger ist dabei immer der Bösewicht. Warum soll sich das reale Leben anders abspielen als die Romanwelt?“
Der Kommissar hatte sich von meinem Lachen anstecken lassen. „Eben weil wir in der realen Welt sind und nicht in einem Roman, Herr Grundler“, entgegnete er schmunzelnd. „Jetzt haben wir schon zwei Tatverdächtige, einen unbekannten Gärtner und einen bekannten Verleger.“
Vielleicht kämen noch ein paar zwielichtige Gestalten hinzu, meinte ich vergnügt, aber anscheinend war meine Äußerung zugleich unbedacht.
Denn schlagartig veränderte sich wieder Böhnkes Gesichtsausdruck sowie sein Verhalten. Er wurde erneut grimmig und verschlossen. „Wenn Sie meinen, wird es wohl so sein“, brummte er gedehnt und gab mir damit deutlich zu verstehen, dass er im Augenblick nicht an einer weiteren Unterhaltung mit mir interessiert war.
Das Verhalten des Kommissars blieb mir schleierhaft. Ich wollte nur die richtige Gelegenheit abpassen, dann musste ich einmal gewaltig auf den Putz hauen. So konnte Böhnke auf Dauer nicht mit mir umgehen, auch wenn er das Honorar für meine Tätigkeit bezahlen wollte.
Verwundert schaute ich aus dem Seitenfenster. Über den Kurt-Koblitz-Ring fuhren wir, wie ich auf dem Straßenschild lesen konnte. Dass von dieser Straße ein Abzweig zur „Gustav-Heinemann Gesamtschule“ führte, interessierte mich nicht sonderlich. Ich wunderte mich allenfalls über die Gedankenlosigkeit, mit der das Hinweisschild falsch beschriftet war.
Meine müßigen Gedankenspielereien endeten, als Böhnke den Dienstopel im Zentrum von Baesweiler auf einem Parkstreifen vor einer Bank abstellte. „In der Schaf“ las ich auf dem Straßenschild und ich kam mir auf der Stelle wie ein Schaf vor, das von seinem Schäfer dumm gehalten wurde. Stumm lief ich neben dem Kommissar her, der eilig in die Kirchstraße einbog. Verkehrsberuhigt sollte dieser Bereich nach der Bezeichnung auf dem Straßenschild sein. Zwar fuhren die Autos wegen des Kopfsteinpflasters und der Klinkersteine vielleicht langsamer, aber dafür auch wesentlich lauter als über ein Asphaltband. Ich wollte Böhnke mit meiner paradoxen Erkenntnis vertraut machen, ließ es aber sein, immerhin war ich das dumme Schaf und nicht er. „Im Sack“ las ich auf einem weiteren Schild, hoffentlich haben wir die Geschichte bald im Sack’, fiel mir dazu ein. Es bereitete mir kein Vergnügen, unwissend durch die Gegend zu stolpern. Erleichtert war ich, als der Kommissar endlich stehen blieb und auf einen Hauseingang deutete.
Wagners Verlag befand sich über einer Buchhandlung in einem modernen Geschäftshaus mitten im Zentrum von Baesweiler. „Bevor Sie wild spekulieren, Herr Grundler, will ich es Ihnen sagen, die Buchhandlung hat nichts mit dem Wagner-Verlag zu tun“, klärte mich Böhnke bissig und unaufgefordert auf.
Ich wusste nicht, was mein Chauffeur mit dieser überflüssigen Bemerkung bezweckte, aber ich war wenigstens froh, dass er überhaupt wieder mit mir sprach. „Dann gehen wir also auf Mörderfang“, erwiderte ich zusammenhanglos und folgte Böhnke in die erste Etage des Hauses.
Ich war erstaunt über die
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