Der Grenzgänger
behilflich und ich werde alles in meiner Kraft Stehende tun, um auch denjenigen zu finden, der Frau Doktor Leder auf dem Gewissen hat.“
Glaubte Wagner etwa auch an einen Anschlag? Ich jedenfalls fand seine Bemerkung interessant, wurde aber schnell auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt, als er sie relativierte. „Falls die unterschwellige Vermutung stimmen sollte, die in der Zeitung angedeutet wurde.“
„Erzählen Sie etwas über Fleischmann“, bat ich den Verleger, der bereitwillig mit dem Kopf nickte.
„Fleischmann war zweifelsohne ein Autor mit Perspektive, engagiert, trotz seiner äußerlichen Unscheinbarkeit doch mit Ausstrahlung, mit interessanten Themen, die er in einer ausdrucksstarken Sprache verpackte. Er hätte eine Zukunft gehabt und wäre für mich sicherlich ein Zugpferd gewesen.“ Wagner schlug die Hände zusammen und verzog das Gesicht zu einer entschuldigenden Grimasse. „Aber leider ist’s vorbei, bevor es richtig begonnen hat.“
„Hatte er Feinde?“ Ich legte nach, bevor Böhnke aktiv wurde oder Wagner in ein melancholisches Grübeln verfallen konnte.
Der Verleger verzog die Lippen zu einem gequälten Lächeln. „Feinde haben wir alle und Fleischmann auch.“ Es habe hin und wieder anonyme Drohbriefe gegen den Autor gegeben. Sie seien der Polizei zur Kenntnisnahme übergeben worden, doch sei ihnen keine wesentliche Bedeutung beigemessen worden. Fleischmann würde schmerzhafte Konsequenzen ertragen müssen, wenn er nicht mit seiner unlogischen Schreiberei aufhöre, so hatte es in den Pamphleten geheißen. Aber es sei erwartungsgemäß bei den verbalen Attacken geblieben. „Das kann Sie aber jetzt auch nicht mehr stören“, unterbrach ich unhöflich den Verleger und mutete ihm eine bewusste Provokation zu: „Aus Ihrer Sicht als Kaufmann ist wohl das Beste passiert, was passieren konnte.“
Mit einem fragenden und zugleich erstaunten Blick sahen mich Wagner und Böhnke an. Ich zuckte verlegen mit den Schultern. „Wahrscheinlich verkauft sich kein Autor besser als ein gerade unter mysteriösen Umständen verstorbener“, erklärte ich gelassen. Das müsse zwangsläufig die Verkaufszahlen von Fleischmanns Romanen in eine ungeahnte Höhe schnellen lassen.
Der Verleger wurde zunächst bleich, dann schwoll sein Gesicht vor Zornesröte an. Abrupt drehte er sich in seinem Schreibtischsessel zum Fenster hin und starrte hinaus.
Für Minuten schauten der Kommissar und ich stumm auf seinen grau behaarten Hinterkopf.
Endlich drehte sich Wagner wieder zu uns. Er hatte sich gefasst. „Sie werden es vielleicht nicht verstehen, Herr Grundler, aber ich habe Fleischmanns Bücher sofort aus dem Verkauf gezogen. Ich möchte kein Geschäft mit dem Tod eines meiner Autoren machen.“ Der Verleger wirkte überzeugend. „Ich werde sogar die für die Frankfurter Buchmesse vorgesehene Vorstellung des neuen Romans absagen. Das Buch wird definitiv nicht erscheinen. Ich werde die bereits gedruckten Exemplare nicht ausliefern lassen. Sie werden in einigen Tagen eingestampft.“
Ich sah Böhnke an. „Haben Sie noch Fragen?“, fragte ich überzogen lässig.
Der Kommissar sah mich nachdenklich an, ehe er sich Wagner zuwandte. „Hätten Sie etwas dagegen, dass ich mich in Ihren Unterlagen über Fleischmann umschaue?“
Wagner hob erneut die Arme, er war keineswegs nachtragend. „Kein Problem“, sagte er hilfsbereit. „Ich stelle Ihnen gerne alle unsere Akten zur Verfügung, wenn es der Mördersuche dienlich sein kann.“ Rasch griff er zum Telefon und bat eine Sekretärin, die Ordner im Besprechungszimmer abzulegen. „Sie werden allerdings nicht viel finden“, meinte er, „die Verträge zwischen Fleischmann und dem Verlag, die Rezensionen und die Berichte über ihn und seine Werke.“ Es würde ihn sehr wundern, wenn wir in den Ordnern Anhaltspunkte für das Verbrechen an Fleischmann finden könnten. „Sie können versichert sein, dass es auch mein unbedingtes Bestreben ist, den Mord an einem meiner Autoren aufzuklären“, betonte Wagner noch einmal. Erst wenn der Täter überführt wäre, würde er nach Rücksprache mit Fleischmanns Eltern vielleicht noch einmal dessen Romane auf den Markt bringen.
Mit der Zusicherung, jederzeit für Antworten auf unsere Fragen bereitzustehen, ließ uns Wagner mit den beiden Aktenordnern allein in dem Raum.
Ehe ich zulangen konnte, hatte sich Böhnke den vermeintlich interessanteren Ordner gegriffen. Mir blieben nur die Kopien der Zeitungsberichte über
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