Der Grenzgänger
gefallen und ging erst gar nicht auf seine Häme ein, sondern fragte sachlich: „Was gibt’s so Wichtiges, dass Sie mich bei meiner anstrengenden Arbeit im Sinne des Rechtsstaats stören müssen?“
„Das Verbrechen, mein Bester, das Verbrechen“, sagte der Journalist geheimnisvoll.
Sofort wurde ich hellhörig. „Was meinen Sie damit?“ Der Reporter schien sich zu freuen, dass er endlich einmal einen Informationsvorsprung vor mir hatte. „Ich meine die kleine, nette Paketbombe, die heute Morgen hochgegangen ist.“
„Wo?“ Langsam fiel es mir schwer, mich zu beherrschen. „Erzählen Sie endlich!“, raunzte ich.
„Heute Morgen ist im Büro des Verlegers Christian Maria Wagner in Baesweiler eine Paketbombe explodiert.“ Fast schon feierlich verkündete der Schreiberling sein Wissen, während mein Herz begann, heftig zu pochen. „Und?“, fragte ich entsetzt. „Gibt es Verletzte?“
„Nein. Es ist bei einem, allerdings erheblichen, Sachschaden geblieben. Wagner und seine Mitarbeiterinnen haben verdammt viel Schwein gehabt“, antwortete der Journalist zu meiner Erleichterung. „Er hatte gerade für einen Moment sein Zimmer verlassen, als das Ding hochging. Wenn Wagner nur wenige Sekunden später in die Kaffeeküche gegangen wäre, hätte er das Leben hinter sich gehabt.“ Die Explosion habe das Zimmer restlos demoliert, die Bücher und das Mobiliar zerfetzt. Durch die Wucht sei die Fensterscheibe zerplatzt und die Tür aus den Angeln gesprungen. „Die Explosion hätte mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit niemand überlebt, der sich in dem Zimmer aufgehalten hätte.“
Woher der Reporter seine ausführliche Kenntnis hatte, interessierte mich nicht sonderlich. Er hatte seine guten Beziehungen zu zahlreichen Informanten ebenso wie ich zu meinen. Ich wollte von Sümmerling die Fakten haben, die er mir bereitwillig lieferte.
Mit der üblichen Paketpost war die Lieferung, die an Wagner persönlich adressiert war, angeliefert worden. Eine Sekretärin hatte das Paket ungeöffnet neben Wagners Schreibtisch gestellt. Der Verleger war erst Minuten vor der Explosion ins Büro gekommen. „Sein erster Gang zu Arbeitsbeginn führt immer in die Kaffeeküche“, behauptete Sümmerling. „Er hat ihm dieses Mal das Leben gerettet.“
Die Polizei habe schon versucht, herauszufinden, woher das Paket stammt. „Wahrscheinlich ist es in Eschweiler oder Aisdorf aufgegeben worden, den angegebenen Absender gibt es nicht.“ Der Reporter schwieg kurz. „Das wäre ein astreiner Mord gewesen, ohne Spuren zu hinterlassen.“
Diese Einschätzung wollte ich nicht teilen. Die Polizei würde bestimmt noch einige Anhaltspunkte finden, dachte ich, behielt aber die Anmerkung für mich. Die Spurensucher würden jeden einzelnen Krümel unter die Lupe nehmen. „Wissen Sie eigentlich, wer Wagner ist?“ Stolz stellte mir der Schreiberling die Frage, deren Antwort ich mir denken konnte.
Sümmerling enttäuschte mich nicht: „Wagner ist der Verleger von Renatus Fleischmann. Interessant, was?“
„In der Tat“, pflichtete ich ihm gelassen bei. „Das ist doch allgemein bekannt. Oder wussten Sie das etwa nicht?“
Geflissentlich überhörte der Schreiberling den Spott in meiner Frage. „Da gibt es bestimmt einen Zusammenhang“, spekulierte er begeistert, „der Mord an dem Autor, das Attentat auf den Verleger und der mysteriöse Unfall der Lektorin hängen garantiert zusammen. Da ist jemand auf großer Rachetour.“
Ich wollte dem Reporter nicht widersprechen, ihm aber auch nicht zustimmen. Mir stand nicht der Sinn danach, wahrscheinlich voreilige Schlüsse zu ziehen. Ich sammelte lieber noch Tatsachen. Und eine Tatsache war, dass in Wagners Büro eine Bombe explodiert war.
Mit der Behauptung, ich hätte ein anderes, dringendes Gespräch in der Leitung, beendete ich das Telefonat. Ich wollte meine Ruhe haben, um meine Gedanken zu sortieren und meine Notizensammlung zu ergänzen.
Doch es blieben mir dazu nur wenige Minuten. Fräulein Schmitz stellte mir unbarmherzig ein weiteres Telefonat durch: „Herr Böhnke.“
Wenn er mich über ein Bombenattentat auf Wagner aufklären wolle, käme er zu spät, meinte ich zur Begrüßung und fragte: „Woher wissen Sie, dass ich hier bin?“
Der Kommissar lachte. „Wo sollten Sie sonst sein? Entweder in der Kanzlei oder in der Wohnung, andere Möglichkeiten gibt es doch nicht.“ Er habe nicht die Absicht gehabt, mich über die Explosion in Baesweiler
Weitere Kostenlose Bücher