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Der Grenzgänger

Der Grenzgänger

Titel: Der Grenzgänger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kurt Lehmkuhl
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ihrer Art fand ich die Puppenstube sogar noch gemütlich. Da ich wusste, dass mich ein heilloses Durcheinander erwartet, ging ich relativ unbefangen an meine Arbeit. Wer Bücher liebte und alleine lebte, für den war diese kleine Stätte gewiss ein heimeliger Ort, der für den Unwissenden nur ein Problem bereithielt: Wo sollte ich was suchen, geschweige denn finden?
    Im Flur klaubte ich die Zeitungen und die Briefpost auf, mit denen ich mich in die Küche begab. Auf einem alten Küchenstuhl waren Zeitungen gestapelt, der andere war wohl für die Wohnungsinhaberin reserviert. Einige aufgerissene, leere Briefumschläge lagen auf dem hölzernen, farblosen Tisch. Vorsichtig setzte ich mich auf die wackelige Unterlage und blätterte ungeniert durch die Post. Sie bestand nur aus Werbebriefen und der Abrechnung der Telekom, die nur den sehr geringen Gesamtbetrag enthielt. Gerne hätte ich einen Einzelnachweis über die Telefonate gehabt, um zu lesen, wohin die Lektorin angerufen hatte. Aber so musste ich mich mit der wenig aussagekräftigen Erkenntnis begnügen, dass die gute Frau nur selten zum Telefon griff.
    Mit Küche und Badezimmer war ich bei meiner Ermittlung schnell fertig. Es gab nichts Auffälliges, sah ich einmal von dem Abfalleimer unter der Spüle ab, aus dem angefaulte Lebensmittel stanken. In meiner Gutmütigkeit machte ich mich auf die Suche nach einer Mülltonne, die ich hinter dem Haus in einem kleinen, pflanzenlosen Innenhof fand, und entsorgte den Abfall.
    Das winzige Schlafzimmer, in dem gerade einmal neben einem Einzelbett ein eintüriger Kleiderschrank und ein Beistelltisch Platz hatten, enthielt keine Geheimnisse.
    Auf dem Tischchen lagen einige Bücher, die wahrscheinlich als Abendlektüre dienen sollten. Die Lektorin las offenbar alles, was sie in die Hände bekam. Romane, wissenschaftliche Fachbücher, Bibliografien, querbeet durch die Literatur stapelten sich die gebundenen Werke. Ich blätterte zwar durch die Seiten, fand jedoch keine interessanten Hinweise.
    Hemmungen hatte ich, als ich den Kleiderschrank öffnete und in der ordentlich gefalteten Wäsche von Renate wühlte. Es war mir unangenehm, so tief in das private Leben der Frau einzudringen. Aber es befand sich nichts in dem Schrank, was nicht hineingehört hätte. Anscheinend trug die junge Frau nur Jeans und Pullis, ein Kleid besaß sie nicht. Selbst die mit einem roten Band zusammengehaltenen Liebesbriefe der Verflossenen, die nach der Klischeevorstellung meistens hinter dem Stapel mit der Unterwäsche oder zwischen den Handtüchern ihren Platz hatten, fehlten.
     
     
    ,Was willst du eigentlich hier?’, fragte ich mich, als ich endlich das Arbeitszimmer betrat. Das war das Stochern in einem Heuhaufen, wobei ich noch nicht einmal wusste, ob ich überhaupt in einem Heuhaufen stocherte, geschweige denn, ob ich darin nach einer Stecknadel suchte. Es würde Stunden dauern, wenn ich alle Bücher und Ordner durchblättern wollte.
    Ich nahm in dem abgewetzten Sessel Platz, den mir die Lektorin bei meinem ersten Besuch angeboten hatte, und blickte mich um in dem schier unüberschaubaren Durcheinander von Papier. ,Was wusste ich von Renate Leder?’, fragte ich mich. ,Nicht viel’, antwortete ich mir und kam zur nächsten Frage. ,Wie erfährst du etwas über die Frau? Indem du versuchst, Persönliches von ihr zu finden’, gab ich mir zur Antwort, etwa Briefe, Akten, Urkunden.
    Damit blieb bei meiner Suche alles außen vor, dass nicht direkt etwas mit Renate Leder zu tun hatte. Ich beachtete die vielen Bücher nicht weiter und klaubte mehrere Aktenordner hervor. Für mich überraschend nach dem äußerlichen Chaos in der Wohnung, hatte die Lektorin ihre persönlichen Unterlagen ordentlich sortiert. Von einer beglaubigten Kopie ihrer Geburtsurkunde angefangen über das Abiturzeugnis und das Diplom, das den ausgezeichneten Abschluss ihres Studiums in Aachen dokumentierte, bis hin zu ihrer Honorarvereinbarung mit Wagner waren alle Dokumente abgeheftet.
    Es berührte mich, als ich ihr privates Schicksal erfuhr, das in einem Lebenslauf niedergelegt war. In einer sehr korrekten Handschrift hatte sie geschildert, dass sie als Einzelkind früh die Eltern nach einem Verkehrsunfall verloren hatte, in einem Heim aufwuchs, an einem von Nonnen geleiteten Gymnasium das Abitur machte und sich ihr Studium der Germanistik und Anglistik durch Jobs finanziert hatte. Renate hatte es nicht leicht gehabt im Leben und sich offensichtlich ihre bescheidene Existenz

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