Der Grenzgänger
sie überhaupt etwas damit bezweckt? Bezog sich das für mich nicht durchschaubare Gewirr etwa auf ihre berufliche Tätigkeit? Oder gab mir die eingekreiste Buchstabenkombination einen Hinweis auf ihre Spurensuche in den Werken Fleischmanns? ,Renate, wach endlich auf und verrate mir deine Geheimnisse!’, sagte ich zu mir und dachte an Sabine.
Huppenbroich
Mir gefiel Huppenbroich immer wieder aufs Neue, auch wenn ich mit dem idyllischen Eifeldörfchen zwischen Monschau und Simmerath nicht nur angenehme Erinnerungen verband. Ich genoss bei unserer Ankunft den Ausblick mit den vielen, dicht belaubten Buchenhecken, die die Weiden umrahmten und die Wohnhäuser umzäunten, und den vereinzelten Bäumen in der hügeligen Landschaft. In einem ehemaligen Hühnerstall, fast gegenüber dem Feuerwehrgerätehaus, hatte sich die Lebensgefährtin des Kommissars eine zweckmäßige, aber auch gemütliche Ferienwohnung eingerichtet, in die sich die beiden gerne aus dem stickigen Aachener Klima zur Entspannung zurückzogen. Lediglich der wuchtige Neubau, der in unmittelbarer Nähe hochgezogen worden war, trübte ein wenig die Harmonie.
Bereitwillig hatte Böhnkes Freundin uns den Hühnerstall zu unserem Arbeitsurlaub überlassen, wie ich unseren Aufenthalt bezeichnet hatte. Auch Sabine hatte mich verständnisvoll ziehen lassen, nicht zuletzt mit dem mich verunsichernden Hinweis, es gäbe sehr viele attraktive Männer in Aachen und tolle Tanzlokale.
Doch über ihre uncharmante Bemerkung wollte ich mir in Huppenbroich keine überflüssigen Gedanken machen, als ich mich in meinem Schlafzimmerchen unter dem schrägen Dach einrichtete. Ich freute mich einfach auf die ungewöhnliche Zusammenarbeit mit dem Kommissar, sie fiel aus dem Rahmen der Normalität und war für mich auch ein Vertrauensbeweis.
Ich wollte mich nicht mit Sabines Aktivität während meiner hoffentlich nur kurzen Abwesenheit beschäftigen, ich wollte mich voll und ganz auf Fleischmanns Werke konzentrieren, wobei wir uns nicht ganz schlüssig über unsere Vorgehensweise waren. Sollten wir zunächst das von mir aufgespürte „Metzger-Manuskript“ lesen, das nach der Beurteilung des Autors anders war als die bisherigen Werke? Oder sollten wir uns zuerst den veröffentlichten Romanen widmen?
Schließlich einigten wir uns darauf, dass sich Böhnke, der die Fleischmann-Romane angeblich schon fast auswendig kannte, mit dem neuen Manuskript befasste, ich dagegen bei den Geschichten mit dem Rathausduo mein detektivisches Geschick versuchte.
„Vielleicht gibt es ja auch Verknüpfungen“, spekulierte Böhnke, ehe er sich mit dem dicken Aktenordner in eine bequeme Leseecke zurückzog. „Sie haben’s gut“, stöhnte er, auf Mitleid hoffend, während er sich in den wuchtigen Ledersessel zurücklehnte, „Sie brauchen sich nur mit den bearbeiteten Manuskripten abzugeben, ich muss mich wahrscheinlich durch einen Haufen überflüssiger Sätze wühlen.“ Renate Leder, so hatte ihm sein Buchhändler gesagt, sei als sehr konsequente Lektorin bekannt, die jeglichen ablenkenden Firlefanz radikal aus den Rohfassungen der Autoren herausstreiche. „Die Romane sind gut komprimiert und deshalb zügig lesbar“, gab mir Böhnke eine bekannte Erkenntnis mit auf meine erneute Lesereise durch die Fleischmannsche Buchwelt.
,Das ist ja gerade das Fatale’, dachte ich mir, ,weil du so zügig und schnell lesen kannst, übersiehst du vielleicht die Kleinigkeiten, in denen es versteckte Hinweise geben könnte.’
Mit einem spitzen Bleistift und einem leuchtend gelben Textmarkierer versehen, machte ich es mir in einem Sessel bequem und schlug erwartungsvoll das Erste der sechs Bücher auf.
Ehe ich mich versah, war ich schon in der Geschichte versunken. Ich lebte quasi mit, sah das Geschehen aus der Sicht der sonderbaren, durchaus sympathischen Hauptfigur und versuchte auch, mich in die Situation anderer Beteiligter zu versetzen. Mehr als einmal erwischte ich mich dabei, erfundene Passagen als real gegeben zu erleben. Manchmal war es schier unmöglich zu unterscheiden. Wenn die Hauptfigur in einem Taxi unterwegs war und mit dem Fahrer redete, konnte dies so gewesen sein oder aber erfunden. Das galt auch für Beweise oder Hinweise auf kriminelle Machenschaften. Ich erinnerte mich daran, dass, wie in diesem Roman geschehen, tatsächlich ein ehrgeiziger Bürgermeister vor seiner Wahl als Karnevalsprinz effektheischend auf Stimmenfang gegangen war, und mir fiel ebenfalls
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