Der Gringo Trail: Ein absurd komischer Road-Trip durch Südamerika
Sternbilder zu kennen. Eine materialistische Gesellschaft, die den bloßen Sinn für die Freude aus dem Blick verloren hatte, einfach nur am Leben zu sein, und ihn durch Kleiderschränke von IKEA zum selbst zusammenbauen ersetzt hatte. Es war eine beschissene Welt, in der ich keinerlei Sinn oder Richtung finden konnte. Vielleicht würde ich in Südamerika eine finden.
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Die Grenze
In Puno hielten wir nur an, um den nächsten Bus aus der Stadt zu nehmen. Wir fuhren in die bolivische Stadt Copacabana. Bevor wir Peru verließen, konnte ich Melissa endlich dazu überreden, vor einem Schild zu posieren, das „Bimbo“ anpries. „Wenn es denn unbedingt sein muss …“, seufzte sie. Der Bus streifte eine Stunde lang durch die Stadt, um verstreute Fußgänger in Panik zu versetzen und sie zu bewegen, an Bord zu springen, und kehrte dann zur ursprünglichen Haltestelle zurück. (Ich habe diese weitverbreitete Gewohnheit der Dritten Welt nie wirklich verstanden. Wer entscheidet sich denn aus der Laune eines Augenblicks heraus, spontan nach Bolivien zu reisen, nur weil er einen Bus vorbeifahren sieht, der gerade dorthin fährt?) Eine Stunde später fuhren wir in Richtung Bolivien.
Der Grenzübergang war ein ruhiger Fleck am Südufer des Titicacasees. Vom Chaos an der Grenze zwischen Peru und Ecuador war keine Spur. Die Grenzpolizei stempelte unsere Pässe ohne sie anzusehen. Niemand kam angerannt, um uns zu belästigen. Ein freundlicher junger Taxifahrer setzte uns in Copacabana ab und versuchte nicht einmal, einen überhöhten Fahrpreis zu kassieren. Bolivien schien vielversprechend zu sein.
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Copacabana
Copacabana ist eine populäre Station auf dem Gringo-Trail. Es ist eine ruhige Stadt mit einer weißgetünchten, maurisch wirkenden Kirche und ruhigen Straßen, die zum Seeufer hin abfallen. Ein paar mitleiderregende Campesinas saßen auf dem Gehsteig und verkauften erbärmliche kleine Pyramiden Tomaten und Kartoffeln. Ein paar Lastwagen wurden vor der Kirche mit Konfetti und Blumen dekoriert. Die Bolivianer bringen ihre Autos und Lastwagen her, um sie von Copacabanas wundertätiger Jungfrau segnen zu lassen und gleichzeitig etwas Aguardiente, oder Whisky, als Opfer für die Aymara-Götter zu verschütten. 16
---16 Die Bevölkerung Nordboliviens besteht hauptsächlich aus Aymara. Im Süden leben vorwiegend Quechua.
Denselben religiösen Mix findet man auf dem Cerro Calvario, einem isolierten Fels am Seeufer auf der einen Seite der Stadt. Hier keuchen Pilger eine gewundene Treppe mit unebenen Stufen hinauf, vorbei an Kreuzen, die den Kreuzweg Christi repräsentieren. Auf halbem Wege kommen sie auch an einer Reihe Steintischen vorbei, an denen Traditionelle Brujos, oder Schamanen mit Heilungszeremonien befasst sind. Eingehüllt in Weihrauch liegen symbolische Gaben auf den Tischen verstreut, die die verlorene spirituelle Energie (das„Ajayu“ in der Aymara-Sprache) des Patienten wieder herstellen sollen. An der Spitze, um die letzte Station des Kreuzwegs herum, boten Händler Plastikmodelle von Autos, Booten und Häusern sowie Bündel von Spielgeld an, mit denen man die Chancen erhöhen konnte, die entsprechenden wirklichen Dinge zu bekommen.
Vom Cerro aus bietet sich ein atemberaubendes Bild des Titicacasees: Ein gewaltiges, 200 Kilometer langes Binnenmeer, dessen längs gegenüberliegendes Ufer hinter dem Horizont lag. Die schneebedeckten Gipfel des Cordillera Real glitzerten in der Ferne. Die nahegelegenen Berge, trocken und braun, gesprenkelt mit Bäumen und Büschen, erinnerten mich an Griechenland.
Der Titicacasee ist der größte See Südamerikas und bei einer Höhe von 3800 Metern der „höchstgelegenste schiffbare See der Welt“. 17
--- 17 In Peru gibt es höher gelegene Seen, aber der Titicacasee ist der höchste mit regelmäßigen Schiffslinien.
Die Inkas glaubten, dass der See die Geburtsstätte der Sonne wäre; und es ist offensichtlich, warum. Die Strahlen der Sonne durchdringen die dünne Atmosphäre mit solch intensivem Glanz, dass jedes Detail der Landschaft mit kristalliner Schärfe hervortritt. Wir nahmen ein Boot zur Isla del Sol, dem heiligsten Ort der Inkas, um die Tempelruine und die Pumas zu besichtigen. Diese Katzen sind halb so groß wie ein Löwe und streiften einst wild auf der Insel umher. Heute sind nur drei davon übrig, die man für die Touristen in Käfige gesperrt hat. Der Tempel stammt aus einer Zeit, als die Inka noch ein kleiner Stamm waren, und wirkt wie
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