Der Gringo Trail: Ein absurd komischer Road-Trip durch Südamerika
eine Großstadt in der ganzen Welt nun einmal ist. Man stelle sich eine Stadt vor, die, sagen wir, im Grand Canyon gebaut wurde – die seinen Boden ganz ausfüllt und an seinen Rändern empor klimmt. Das schneebedeckte Massiv des Illimani thronte mit 6402 Metern am hinteren Ende über dem Canyon und schimmerte im spröden Sonnenlicht.
La Paz ist die höchstgelegenste Hauptstadt der Welt. (El Alto liegt auf 4000 Metern Höhe.) Die Landebahn des Flughafens ist doppelt so lang wie bei anderen Flughäfen, weil der Bremsweg als Folge des schwachen Luftwiderstands länger ist. Es ist nicht ganz ausgeschlossen, dass man hier aus dem Flugzeug steigt und an Höhenkrankheit stirbt, was auf jeden Fall ein schlechter Anfang für einen Urlaub wäre. Der Bus ruckelte über die Kante und begann, sich abwärts in Richtung Stadtzentrum den Canyon hinab zu winden.
Wenn man näher kommt, bietet La Paz nicht mehr die dramatische Ansicht, die man zunächst zu sehen bekommt. Das Zentrum besteht hauptsächlich aus Bürohochhäusern aus den sechziger Jahren, während die Straßen, die sich die Hänge des Canyons hinaufwinden, von den typischen rechteckigen Häusern der Anden überzogen und mit einer Masse von Wäscheleinen und Fernsehantennen dekoriert sind. Die Hauptverkehrsstraße, der Prado, folgt dem Fuß des Canyons, wo ehemals ein Fluss war. (Heute verläuft der Fluss unter der Erde.) Steile Straßen verlaufen vom Prado her aufwärts: Auf der linken Seite ist das alte Stadtzentrum um den Präsidentenpalast; rechts, hinter der Kirche des Heiligen Franziskus, befindet sich ein ausuferndes Netzwerk indianischer Straßenmärkte. Auf dem Prado selbst sitzen Campesinas auf dem Gehsteig, wo sie (was wie ein Stilbruch wirkt) Uhren, Sony Walkmans und Raubkopien von Computerhandbüchern verkaufen. Fast jeder ist indianischer Herkunft: Jedoch bis 1952 war es Indianern nicht einmal gestattet, auf den Bürgersteigen der Stadt zu gehen.
Im Unterschied zu den meisten Großstädten leben die Reichen in La Paz in den tieferen Lagen, wo sie vom beißenden Wind des Altiplano geschützt sind. Wenn man dem Prado bergab folgt, steigt der Anteil der Latinos unter den Gesichtern; die Autos sind neuer, die Läden schicker, die Kleider westlicher. Tief unten im Canyon erreicht man schließlich Calacoto, den am tiefsten gelegenen und exklusivsten Stadtteil, wo reiche Bolivianer und Ausländer in glitzernden Malls einkaufen und in teuren, ummauerten Vorstädten mit bewaffneten Wachen an den Eingängen leben.
Wir checkten in einem ruhigen Hotel ein, dem Residencial Illimani, und gingen auf einen Drink in die Stadt. In der Bar war eine Gruppe Geschäftsleute auf bestem Wege, alle Hemmungen fallen zu lassen, als sie zu regionalem Liedgut aus der Musikbox grölten. Mark ließ „We are the Champions“ von Queen laufen, und alle grölten auch dazu mit. Da wir den Song ausgesucht hatten, fühlten wir uns verpflichtet, ebenfalls zu grölen.
Überall um uns her waren Männer zusammengesackt und hatten ihre Köpfe auf die Tische gelegt. Manche schliefen. Andere schluchzten leise und machten keine Anstalten, ihre Tränen zu verbergen. Es war erst acht Uhr. Einer der Geschäftsleute kam herüber, um sich mit uns zu unterhalten.
„Wie es aussieht habt ihr alle eine Menge Spaß“, bemerkte ich. „Si, amigos . Aber ein Bolivianer trinkt nicht, weil er es will.“ „Warum sonst?“ „Er trinkt, weil er muss. Das Leben hier ist hart. Wir können es uns nicht leisten, wie ihr in Urlaub zu fahren, aber manchmal brauchen wir auch eine Pause.“
Bolivianer, erklärte er, trinken nicht aus Spaß oder um soziale Kontakte zu schmieren, sondern ausdrücklich, um betrunken zu werden. Das geht bei ihnen sehr schnell. Um sechs Uhr abends sind die Bars voll. Um neun Uhr abends werden die Körper auf den Bürgersteig gekarrt. La Paz könnte sehr gut als die Weltstadt der Alkoholiker durchgehen: In der Nacht torkelt hier praktisch jeder in besoffenem Zustand herum. Wir ließen die Geschäftsleute singen und weinen und suchten uns etwas zu essen. Mark entschied sich für die billige Möglichkeit: Einen Hamburger an einem Straßenstand. Ein Mann neben uns bestellte ebenfalls einen, war aber zu betrunken, um sein Geld zu finden – wenn er welches hatte. Um dem Standbesitzer zu helfen, ihn loszuwerden, bezahlte ich für ihn. Nur dass weder ich noch der Standbesitzer ihm klarmachen konnten, dass er jetzt einen Hamburger besaß. Wir gingen weiter und ließen ihn zum x-ten Mal in
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