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Der größere Teil der Welt - Roman

Der größere Teil der Welt - Roman

Titel: Der größere Teil der Welt - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Egan
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die Verwirrung an und fügst hinzu: »Wenn da eine Hütte ist.«
    »Natürlich ist da eine Hütte.«
    Dein Trip löst die Luft in Punkte auf, dann Drews Gesicht, das sich mit einem neuen Misstrauen wieder zusammensetzt, das dich erschreckt. »Ich würde Sasha vermissen«, sagt er langsam. »Du etwa nicht?«
    »Du kennst sie gar nicht richtig«, sagst du atemlos und ein wenig verzweifelt. »Du weißt nicht, wen du vermissen würdest.«
    Ein riesiger Lagerschuppen hat sich zwischen Fußweg und Fluss geschoben, und ihr geht daran vorbei. »Was weiß ich nicht über Sasha?«, fragt Drew in seinem üblichen freundlichen Tonfall, aber etwas ist anders – du spürst schon, wie er sich abwendet, und gerätst in Panik.
    »Sie ist auf den Strich gegangen«, sagst du. »Sie ist auf den Strich gegangen und hat geklaut – so hat sie in Neapel überlebt.«
    Als du das aussprichst, erklingt in deinen Ohren ein Kreischen. Drew bleibt stehen. Du bist sicher, dass er dich schlagen wird, und machst dich darauf gefasst.
    »Das ist Wahnsinn«, sagt er. »Und du bist ein Arschloch, so was zu sagen.«
    »Frag sie doch«, brüllst du, um das Kreischen zu übertönen. »Frag sie nach dem flötespielenden Lars aus Schweden.«
    Drew geht wieder los, mit gesenktem Kopf. Du gehst neben ihm her, und deine Schritte verraten deine Panik: Was hast du getan? Was hast du getan? Was hast du getan? Was hast du getan? Der FDR verläuft über euren Köpfen mit donnernden Reifen und Abgasen in eurer Lunge.
    Drew bleibt wieder stehen. Er schaut dich durch die trübe, ölige Luft an, als ob er dich noch nie gesehen hätte. »Wow, Rob«, sagt er. »Du bist wirklich und wahrhaftig ein Arschloch.«
    »Du bist der Letzte, der es erfährt.«
    »Nicht ich, Sasha.«
    Er dreht sich um und läuft davon, lässt dich allein zurück.
    Du rennst ihm nach, in wilder Panik überzeugt, dass es den Schaden, den du angerichtet hast, wiedergutmachen wird, wenn du Drew aufhalten kannst. Sie weiß es nicht, sagst du dir, sie weiß es noch nicht. Solange du Drew sehen kannst, weiß sie es nicht.
    Du verfolgst ihn am Flussufer, höchstens ein paar Meter hinter ihm, halb rennend, um mit ihm Schritt zu halten. Einmal dreht er sich um: »Hau ab! Ich will nicht in deiner Nähe sein!« Aber du spürst seine Verwirrung darüber, wo er hingehen, was er tun soll, und das beruhigt dich. Noch ist nichts passiert.
    Zwischen der Manhattan- und der Brooklyn-Brücke bleibt Drew vor einer Art Strand stehen. Er besteht nur aus Abfällen: gammeligen Reifen, Müll, Holzresten, Glasscherben, verdrecktem Papier und alten Plastiktüten, die sich in den East River vorschieben. Drew steht auf diesem Müll und schaut hinaus, und du wartest einen halben Meter hinter ihm. Dann fängt er an, sich auszuziehen. Du glaubst es zuerst nicht: runter mit seiner Jacke, seinem Pullover, seinen beiden T-Shirts und dem Unterhemd. Und dann siehst du Drews bloßen Oberkörper, stark und muskulös, wie du ihn dir vorgestellt hast, wenn auch dünner, die dunklen Haare pikförmig auf seiner Brust.
    In Jeans und Stiefeln sucht Drew sich seinen Weg zu der Stelle, wo Müll und Wasser aufeinandertreffen. Eine eckige Betonplatte ragt hinaus, das unfertige Fundament eines längst vergessenen Bauwerks, und er klettert hinauf. Er bindet seine Stiefel auf und zieht sie aus, dann streift er die Jeans und Boxershorts ab. Selbst in deiner Panik kannst du die lässige Schönheit eines Mannes, der sich auszieht, vage genießen.
    Er schaut sich nach dir um, und du siehst für einen Moment seine nackte Vorderseite, die dunklen Schamhaare und die kräftigen Beine. »Das wollte ich schon immer mal«, sagt er tonlos und macht einen langen, sehnigen, flachen Sprung, knallt auf dem Wasserspiegel des East River auf und stößt etwas aus, das irgendwo zwischen einem Schrei und einem Aufkeuchen liegt. Er taucht wieder auf, und du hörst, wie er nach Atem ringt. Es kann kaum wärmer als sieben Grad sein.
    Du steigst auf den Betonblock und fängst an, dich auszuziehen, wie betäubt vor Angst, aber angespornt von dem vagen Gefühl, dass es etwas über dich aussagen, etwas beweisen wird, wenn du diese Furcht bezwingen kannst. Deine Narben jaulen in der Kälte. Dein Schwanz ist zu Walnussgröße geschrumpft, und dein Footballergewicht gerät ins Wanken, aber Drew schaut nicht einmal hin. Er schwimmt mit starken, stetigen Schwimmerzügen.
    Du legst eine Bauchlandung hin, dein Körper knallt auf das Wasser, dein Knie stößt unter der

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