Der große Bio-Schmaeh
mit dem Schweizer Immunologen und erklärten Bio-Gegner Univ.-Prof. Dr. Beda M. Stadler, der zu dem Schluss kommt: »Bio war von Anfang an eine Sekte.« 54 Solche Behauptungen sind zu hinterfragen, da die immer wieder unterstellte – die angeblich eine und einzige – historische Linie des Ökolandbaus in Wirklichkeit überhaupt nicht existiert. Ökologische Landwirtschaft wurde in vielen Ländern der Erde mehrmals »erfunden« oder aufgegriffen und begann nicht mit Rudolf Steiner und seiner Anthroposophie und schon gar nicht mit den Nationalsozialisten. Bio-Bäuerinnen und Bio-Bauern sind – selbstverständlich – nicht mit Nazis in Verbindung zu bringen. Und die meisten von ihnen haben auch mit Rudolf Steiners Lehren nichts zu tun. Dr. Steiner war zwar ohne Zweifel ein Ideenstifter und Pionier. Aber er war dies ausschließlich für seine eigene Tradition der biologisch-dynamischen Landwirtschaft und nicht für den Ökolandbau an sich. Es wirkt unüberlegt, zu behaupten, eine so starke und gesellschaftlich breit vertretene Idee wie die biologische Landwirtschaft ließe sich so einfach auf eine einzelne Person zurückführen – noch dazu ursächlich. Eine solche Mutmaßung käme der Unterstellung gleich, die Idee der biologischen Landwirtschaft würde heute nicht existieren, wenn etwa Rudolf Steiner nie gelebt hätte. Ökologische Landwirtschaft ist nicht auf politische, religiöse oder sogar esoterische Strömungen eingrenzbar. Die Idee des Ökolandbaus existiert in Form einer kulturellen Informationseinheit als regelrechte Gegenspielerin der Industrialisierung der Lebensmittelherstellung. Sie gewann an Stärke und Bedeutung im selben Maße wie die Industrialisierung selbst. Heute, im Zeitalter des Agrargigantismus, hat die Forderung nach ökologischen und natürlichen Lebensmitteln freilich ihren bisherigen Höhepunkt erreicht.
Die Siebziger und Achtziger: Ökolandbau goes public
Neuerlichen Aufschwung erlebte die Bio-Bewegung im deutschsprachigen Raum insbesondere in den 1970er- bis 1980er-Jahren, in denen Produkte aus ökologischer Landwirtschaft erfolgreich Marktnischen besetzten und den Weg ins öffentliche Bewusstsein schafften. Am Ende der Siebziger strahlte der Österreichische Rundfunk (ORF) in den Sendungen »Bodenkultur« und »Planquadrat Ländlicher Raum« umfassende Beiträge zum Thema Ökolandbau aus. Die verantwortlichen ORF-Redakteure Helmut Voitl und Ernst Petz sowie die Redakteurin Elisabeth Guggenberger gaben 1979 ein Begleitheft zu ihren TV-Beiträgen heraus, in dem die Grundzüge der ökologischen Landwirtschaft ausführlich erläutert wurden.
In diese Zeit fallen auch die Anfänge des ältesten noch existierenden Bio-Ladens Österreichs, der 1978 von Rupert und Ushij Matzer in Graz gegründet wurde. Der ORF erhielt mehr als fünfzehntausend Zuschriften von interessierten Zuseherinnen und Zusehern, die zum Teil sogar anboten, den Ökolandbau und seine Verbreitung tatkräftig zu unterstützen. Vor allem Konsumenten aus Großstädten fragten, den Aufzeichnungen des ORF zufolge, an, wo sie Produkte aus biologischer Landwirtschaft erhalten könnten. Unter den Initiatoren der Ökobeiträge des Österreichischen Rundfunks fand sich unter anderem der spätere Universitätsprofessor und Generaldirektor des Naturhistorischen Museums in Wien, Dr. Bernd Lötsch, der damals noch Dozent am biologischen Institut der Universität Wien war und 1976 im »Villacher Manifest« unter dem Titel »Der ländliche Raum – Lebensgrundlage der Industriegesellschaft« ein Plädoyer für die biologische Landwirtschaft gehalten hatte. Nach der Ausstrahlung der ORF-Beiträge wurde die »Bildungsbewegung Ökologischer Landbau« gegründet, deren Ziel es war, die Idee der biologischen Landwirtschaft zu verbreiten und für eine Aufklärung der Konsumenten zu sorgen. Dies war insofern von besonderer Wichtigkeit, als es noch keinerlei gesetzliche Regelungen für die biologische Lebensmittelherstellung gab. »Wir hatten zum Beispiel damals, am Ende der 1970er, nur einen einzigen Käse im Programm. Das war ein Schafskäse. Zu dieser Zeit war es noch nicht so einfach, an Bio-Ware zu kommen«, erzählte mir Rupert Matzer. »Aber die ökologische Landwirtschaft setzte sich immer mehr durch und wir fanden schnell neue Bauern«, fügte er hinzu. »Nachdem der ORF ein paar Sendungen über den Ökolandbau ausgestrahlt hatte, standen die Leute am Morgen schon vor unserem kleinen Geschäft Schlange und warteten darauf, dass wir
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