Der große Bio-Schmaeh
erzeugen und von dem sie doch nur eine so winzige Scheibe in Form ihres niedrigen Stundenlohns abbekommen. Manche Aussagen von Philosophen des neunzehnten Jahrhunderts können noch heute unverändert ausgesprochen werden, ohne an Aktualität verloren zu haben.
Der Beginn der Ökolandbaubewegung wird meistens in den 1920er-Jahren angesetzt. Wie schon für Henry David Thoreau, so war auch für die Vertreter der biologischen Landwirtschaft im frühen zwanzigsten Jahrhundert ihr Widerstand gegen die fortschreitende Industrialisierung ein wichtiger Antrieb.
Die schweizerische Agrarwissenschaftlerin Maria Müller-Bigler begründete Anfang der 1930er-Jahre gemeinsam mit ihrem Mann, dem Biologen Dr. Hans Müller, den sogenannten organisch-biologischen Landbau. Die beiden sahen den Bauernstand bedroht und entwarfen ihr eigenes Konzept des Ökolandbaus als Rettungsanker der bäuerlichen Zukunft jenseits industrieller Zwänge. Wenige Jahre zuvor hatte Rudolf Steiner seine biologisch-dynamische Landwirtschaft begründet, aus der bereits am Ende der 1920er-Jahre der Demeter-Verband hervorgegangen war. Doch selbst Anhänger Rudolf Steiners und dessen anthroposophischer Lehre räumen ein, dass die Wurzeln des Ökolandbaus noch weiter zurückgehen. »Wenn sich der Mensch selbst verstehen will, dann kann er das nicht hinreichend, solange er sich nicht als ein geschichtliches Wesen in einer ganz bestimmten geschichtlichen Zeit begreift«, schreibt der Anthroposoph Wolfgang Schaumann. 51
Der Geist des Ökolandbaus wurde weder von Rudolf Steiner, noch vom Ehepaar Müller in die Welt gesetzt. Er begleitet die Menschheit schon, seitdem die Industrialisierung in Gange ist und reicht daher bis ins neunzehnte Jahrhundert zurück.
Der Philosoph, Nonkonformist, Sklavenbefreier und Naturschützer aus Amerika, Henry David Thoreau, ist gemeinsam mit anderen als frühes Glied in einer internationalen Ideenkette der Ökologie zu verstehen, die bis heute nicht abgerissen ist und deren Entwicklung auch in Zukunft voranschreiten wird. Im Laufe der Geschichte gelangte dieser »ökologische Geist« in die Hände von Angehörigen verschiedenster Strömungen. Am Übergang vom neunzehnten ins zwanzigste Jahrhundert formierte sich, insbesondere von Deutschland und der Schweiz ausgehend, die sogenannte Lebensreformbewegung, die durch Kritik an der Industrialisierung und der Kommerzialisierung der Lebensmittelproduktion geprägt war und in der sich verschiedenste, teilweise auch miteinander verfeindete, politische Strömungen fanden. Manche Vertreter der Lebensreform verfochten gar religiöse Ansprüche. Andere kamen aus dem anarchistischen Lager. Es gab politisch linke ebenso wie Strömungen von Rechts. In den 1930er-Jahren instrumentalisierten sogar die Nationalsozialisten den Trend und lenkten die Tendenzen des naturnahen Lebens in ihre Richtung. Von nun an verstanden die Nazis unter der Natur, zu der man sich zurückbesinnen sollte, in erster Linie die »heimische Natur«. Naturschutz und der sogenannte »Heimatschutz« verflossen miteinander. Die Natürlichkeit des Körpers und die Nacktkörperkultur wurden mit dem Stolz über den »arischen Körper« verbunden. Traditionelle Naturheilmethoden nannten die Nationalsozialisten schließlich »Neue Deutsche Heilkunde«. Dem Widerstand vieler Ärztinnen und Ärzte ist es zu verdanken, dass sich dieses Konzept in der Medizin der damaligen Zeit nicht etablieren konnte.
Auch die Idee einer ökologischen Landwirtschaft wurde im Laufe der Geschichte immer wieder von bestimmten politischen oder auch pseudoreligiösen Strömungen aufgegriffen und für ihre Zwecke instrumentalisiert. Noch heute wird dieser unglückliche Umstand von Gegnern der biologischen Landwirtschaft ausgenutzt. In ihrem Buch »Biokost und Ökokult« schreiben beispielsweise die beiden Journalisten Dirk Maxeiner und Michael Miersch Folgendes: 52 »Rudolf Steiners Landwirtschaftslehre ist pure Esoterik. 53 Steiner und den anderen Gründern des Biolandbaus ging es nicht um Umweltschutz oder Tierschutz. Führende Nationalsozialisten, wie Himmler, waren Anhänger von Steiners Agrarlehre und standen der Anthroposophie nahe.« Damit reduzieren die beiden Autoren eine Idee, die sich in ständigem Wandel befindet und an welcher heute Wissenschaftler aller Disziplinen arbeiten, auf einen bestimmten, selektiven Ausschnitt der Geschichte an einem ebenso selektiven Ort des Planeten. In diesem Stile setzen sie ihre Argumentation fort, etwa im Interview
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