Der große Bio-Schmaeh
lobte er die Vorteile seiner neuen, konventionellen Produktlinie. Und das klang so: »Wenn ich mir die Tierhaltung in der Milchwirtschaft ansehe, denke ich, dass die konventionelle teilweise höhere Standards hat. Eine so hohe Qualität der Tierhaltung habe ich bei Bio selten gesehen.« 56 Somit war der einstige »Bio-Papst« von
Ja!Natürlich
zu einem konventionellen Handelsmann geworden und kehrte erst später wieder zu seinem »Bio-Pioniertum« zurück. Diese plötzliche Rückbesinnung auf Biologisch erfolgte, nachdem Konsumentenschutzvereine öffentlich bemängelt hatten,
Zurück zum Ursprung
werde als Bio-Marke wahrgenommen, ohne es zu sein. Seit sie sich das Bio-Mäntelchen rechtmäßig umgehängt hat, prangert die Bio-Marke etwa auf der konzerneigenen Homepage wieder die umweltschädigenden Auswirkungen der konventionellen Landwirtschaft an. Wären unsere Handelskonzerne Menschen, müsste man sie möglicherweise wegen multipler Persönlichkeitsstörung in psychotherapeutische Behandlung schicken.
In der ökologischen Wirtschaftsforschung geht man davon aus, dass die Glaubwürdigkeit des Bio-Marketings einer Handelsfirma nur unter Berücksichtigung der ökologischen Gesamtkompetenz des Unternehmens beurteilt werden kann. Je mehr sich das Konzept eines Unternehmens insgesamt an konventionellen Maßstäben orientiert, desto stärker erscheint sein Engagement für ökologische Produktionsweisen als ausgedünnt. Man spricht von einer Erosion der ökologischen Glaubwürdigkeit.
Tagebucheintrag
Nürnberg, 18. Februar 2011
Clemens G. Arvay
Der Tag neigt sich seinem Ende zu. Ich bin verausgabt, übermüdet. Der Trubel hier ist enorm, die Präsenz von Firmen aus aller Welt ebenfalls. Die Ausstellerinnen und Aussteller haben sich in Schale geworfen. Sie tragen meist schwarze (manchmal auch graue) Anzüge, sind in schicke Business-Röcke gezwängt, so richtig teuer herausgeputzt. An ihren Kleidern haften bekannte und weniger bekannte Konzern- und Markenlogos. Die Damen sehen ein wenig aus wie Stewardessen, die Herren wie Bankangestellte. Ich bin in einer Business-Welt par excellence gelandet. Der Ort des Geschehens: Nürnberg. Der Anlass: die alljährliche internationale Bio-Messe »Bio-Fach«.
Jetzt sitze ich hier, bei einer Flasche Kirschlimonade – »mit leckeren Früchten vom Bodensee« und »klimaneutral hergestellt«, wie der Aufkleber verrät, ohne näher zu erläutern, wie die angebliche Klimaneutralität berechnet worden ist. Auch geht aus dem Etikett nicht hervor, ob alle Früchte vom Bodensee stammen oder nur ein Teil oder wie weit der Herstellerkonzern diese Region überhaupt gefasst hat. Ein Blick auf die Inhaltsstoffangabe offenbart aber, wie bedeutungslos es ist, woher die Früchtchen wirklich stammen: Bescheidene fünf Prozent Bio-Kirschsaft, aus Fruchtsaftkonzentrat, sind in dem Getränk verarbeitet. Den Geschmack erhält der Sprudel durch »natürliche Aromen« und Zugabe von Zucker. Die künstlich beigesetzte Kohlensäure stößt mir unangenehm auf. Aber das Getränk verkauft sich wie am Schnürchen. Gut für den Hersteller, denn 0,33 Liter des industriellen Gebräus kosten hier mehr als drei Euro.
Ich lasse den Tag Revue passieren: Ankunft im riesigen Messekomplex. Nobler Empfang mit Klaviermusik in der sterilen Eingangshalle (Tageseintritt: EUR 30,-). Wahllos betrete ich eine der Hallen und stehe sofort vor einem Stand mit Industriepackfolie. Ich werde hellhörig. Ist das etwa biologisch abbaubares oder gar kompostierbares Material? Nein, zu früh gehofft: Es ist herkömmliches Polyethylen (PE). Es handelt sich um eine Frischhaltefolie für Großproduzenten und Großhändler von Obst und Gemüse. »Äh, und was hat das jetzt mit Bio oder Öko zu tun?« Diese Frage stelle ich dem Vertreter. Nun ja, erwidert dieser, die Folie eigne sich eben auch zur Verpackung von biologischen Produkten: »Grundsätzlich kann man jedes Gemüse oder Obst darin einpacken.« Dass Bio-Ware in dieser Plastikfolie ebenso wie konventionelle Ware gelagert, verschifft oder in Flugzeugen transportiert werden kann, reicht offenbar für den großen Auftritt auf der internationalen Bio-Fachmesse. Außerdem sei Polyethylen-Folie ausgesprochen »maschinengängig« und führe auch in großen und schnellen Industrieanlagen kaum zu Problemen, bekomme ich noch erläutert.
Ein paar Meter weiter gelange ich in den Bereich für »Innovationen und Neuheiten«. Als ich durch die Sicherheitsschleuse trete, habe ich das Gefühl, an
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