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Der große deutsche Märchenschatz

Der große deutsche Märchenschatz

Titel: Der große deutsche Märchenschatz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anaconda
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er im Rathaus war. Einer lud den Tag mit einer Heugabel in einen Korb, etliche gruben ihn aus der Erde hervor, der Schalk aber haschte ihn mit List in einer Mausfalle und schleppte ihn mit Gewalt ins Haus, wie er auch zappeln mochte. So trieben sie es den ganzen Tag; weil sie aber sahen, dass es im Rathaus trotzdem nicht helle wurde, sagte der Schalk am andern Tage: »Jetzt erst merke ich, warum uns gestern die Kunst nicht geraten ist. Der Tag sitzt ja mitten im Rathaus, aber er kann nichts sehen, weil ihm das Dach wie eine Kappe über die Augen gezogen ist. Wir müssen also das Dach abnehmen!« Sogleich hoben sie das Dach ab und siehe! nun war es so helle im Hause als anderwärts auch und die Schildbürger konnten jetzt den ganzen Sommer über Rat halten, so oft es ihnen beliebte, denn sie hatten das Glück, dass es den ganzen Sommer über nie regnete. Als jedoch der leidige Winter kam und Regen und Schnee sich einstellte und sie deshalb dem Bau das Dach von Neuem aufsetzen mussten, war es innen wieder so stockfinster wie vorher und nebenbei so kalt, dass alle sehr zu frieren anfingen. Eine Zeit lang behalfen sie sich damit, dass sie brennende Holzspäne an die Hüte steckten und damit ihren Rathaussaal beleuchteten; der Kälte wegen aber trippelten sie wie Narren umher und rieben sich in einem fort die Hände.
    Eines Tages, als ihnen die Leuchtspäne plötzlich ausgegangen waren, erblickten sie eine Ritze in der Mauer, durch welche ein Sonnenstrahl hereinfiel. »Sind wir alle doch rechte Narren!«, rief jetzt der Bürgermeister. »Wir haben ja keine Fenster am Rathaus angebracht, dass das Licht hereinscheinen könnte!« Darob waren die Schildbürger sehr erstaunt, aber noch mehr freuten sie sich darüber, dass sie einen so weisen Bürgermeister besaßen, der an einer kleinen Mauerritze entdeckte, dass dem Rathaus die Fenster fehlten. Sie gingen gleich daran, solche einzusetzen. Das war in einigen Tagen geschehen. Nun hatten sie wohl Licht, aber keine Wärme und doch war nirgends Raum gelassen für einen Ofen. Aber auch dafür wussten sie Rat; sie setzten den Ofen vor das Fenster hinaus und ließen ihn in die Stube hereingucken; damit die Hitze nicht entweichen konnte, umgaben sie ihn mit einem alten Fischernetz, und das muss gut gewesen sein, denn man hat nie davon gehört, dass es einem Schildbürger im Rathause jemals zu warm geworden wäre.
    Als der Bau vollendet war, kamen die Väter der Gemeinde dort alle Tage zusammen, um das Wohl der Bürgerschaft zu beraten. Zunächst richteten sie ihre Sorge auf den Proviant, denn sie hielten etwas auf gut essen und trinken. Da stellte sich denn heraus, dass sie gar kein Salz hatten. Nach langer Beratung kamen sie überein, das Salzkorn auf dem Gemeindeacker zu bauen, wie man das Weizenkorn baut. Schnell wurde der Acker fein gepflügt und mit Salz besäht. Als nun der Frühling kam, schoss das Kraut lustig empor und blühte, und da es sorgfältig gehütet wurde, konnte es nicht ausbleiben, dass es auch reifte. Nun geschah es eines Tages, dass der Ackerhirt ein Krautblatt pflückte und daran leckte, um zu erfahren, ob es noch nicht reif sei. Da empfand er ein solches Beißen auf der Zunge, dass ihm die Augen übergingen. Das Salz ist gut, dachte er. In größter Eile lief er auf das Rathaus, um die frohe Mär zu verkünden. Sogleich begab sich der Bürgermeister mit dem gesamten Rat nach dem Salzacker. Draußen angekommen, riss er ein Krautblatt ab, reckte die Zunge danach aus und kostete es; ihm taten es alle andern nach und jeder fand, dass das Salzkraut reif sei. Da ließ der Bürgermeister die Glocken stürmen, dass alles herbeieile, das Kraut zu schneiden und zu sammeln, ehe das reife Korn ausfalle. Etliche kamen mit Sicheln und Sensen, um es zu mähen, andere hielten Pferd und Wagen bereit, es einzuführen, wieder andere brachten Dreschflegel mit, um es gleich an Ort und Stelle auf Tüchern auszudreschen. Als sie aber begannen, das Kraut einzusammeln, war dasselbe so herb und hitzig, dass sie sich die Hände entsetzlich verbrannten, da ließen sie es stehen, und daran taten sie recht, denn es waren ja nur Brennnesseln! –
    Um die selbige Zeit geschah es, dass auf der Stadtmauer zu Schilda viel grünes Gras wuchs, das sollte der Gemeindeochse abweiden, damit es nicht verloren ginge. Also legten die Schildbürger dem Tier ein starkes Seil um den

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