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Der große deutsche Märchenschatz

Der große deutsche Märchenschatz

Titel: Der große deutsche Märchenschatz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anaconda
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hatte.
    In Hamburg ließ sich der Schalk auf der Straße von einem Barbier als Knecht anwerben. »Siehst du jenes Haus«, sagte der Meister zu ihm, »wo die hohen Fenster sind? Dahinein gehe, ich werde gleich nachkommen.« Eulenspiegel gehorchte und stieg durch die Fenster in die Stube, dass die Scheiben klirrten, und die Frau des Barbiers, die am Spinnrocken saß, nicht wenig erschrak. Als gleich darauf der Meister heimkam und erfuhr, was geschehen war, rief er dem Knechte zornig zu: »Pack dich hin, von woher du gekommen bist!« Eulenspiegel, nicht faul, sprang wieder zum Fenster hinaus; dadurch wurde der Schaden aber noch größer. Wohl lief der Barbier ihm nach, aber der Schalk war flinker als er und entkam.
    Zu Bamberg wohnte ein Schneider, der drei Gesellen auf einem Laden sitzen hatte. So oft Eulenspiegel da vorüberging, wurde er von den Schneidern verspottet. »Das will ich Euch gedenken«, sagte Eulenspiegel und sägte in einer Nacht die Pfosten unten ab, auf welchen der Laden ruhte. Am andern Morgen setzten sich die drei Gesellen wohlgemut auf ihr Sitzbrett und nähten, was das Zeug hielt. Da lief eine Schweineherde durch die Gasse; etliche Säue gerieten auch unter den Laden und rieben sich an den Pfosten, sodass diese umfielen und die drei Gesellen kopfüber auf die Schweine und in den Kot der Gasse stürzten. Eulenspiegel aber rief über den Markt hin: »Seht, der Wind hat drei Schneider vom Laden geweht!« Und das rief er so laut, dass die Leute herbeisprangen und sich über die Gesellen lustig machten.
    Die Magdeburger wollten auch einmal ein Kunststück von Eulenspiegel sehen, als er zufällig bei ihnen einkehrte. »Präzis 4 Uhr«, ließ er bekanntmachen, »werde ich von Eurem Rathaus herabfliegen.« Eine ungeheure Volksmenge versammelte sich auf dem Marktplatze, um dieses seltene Kunststück zu sehen. Da trat Eulenspiegel auf den Söller des Rathauses und breitete seine Arme aus, als ob er fliegen wolle. Plötzlich aber hielt er inne, lachte schalkhaft und rief: »Ich war der Meinung, ich sei der einzige Narr auf der Welt, nun aber sehe ich, dass hier die ganze Stadt voll Narren ist, die noch weit größer sind als ich. Denn wenn Ihr alle sagtet, Ihr könntet fliegen, so würde ich das nicht glauben. Ihr aber habt mir geglaubt, obwohl ich weder eine Gans noch sonst ein Vogel bin; zudem habe ich weder Flügel noch Federn, ohne welche niemand zu fliegen vermag. Ich hoffe, Ihr seht Eure Torheit ein und so habe ich aus Narren verständige Menschen gemacht, ein Kunststück, das nicht jeden Tag passiert.« Mit diesen Worten begab er sich weg und ließ die Leute stehen, worauf die einen lachten, während die andern ärgerlich nach Hause liefen.
    Zu damaliger Zeit war eine berühmte hohe Schule in Erfurt. Hier erschien Eulenspiegel und behauptete öffentlich, dass er eine bessere Lehrgabe besitze als alle Professoren der Universität. Da ließen ihn diese vor sich kommen und fragten ihn, ob er sich getraue, einen Esel in der Kunst des Lesens zu unterweisen. »Allerdings«, gab Eulenspiegel zur Antwort, »doch verlange ich für jeden Buchstaben, den ich meinem Schüler beibringe, fünf Taler.« Da die Professoren das Honorar nicht zu hoch fanden, nahm Eulenspiegel seinen vierbeinigen Schüler in Empfang und führte ihn nach seiner Herberge. Dort mietete er einen Stall für ihn, legte einen alten Folianten in die Krippe, zwischen die Blätter desselben aber streute er Hafer. Da der Esel dies bald merkte, warf er die Blätter mit der Zunge herum, suchte und leckte den Hafer, und wenn er keinen fand, rief er: »I A, I A!« Sobald Eulenspiegel diesen Erfolg erzielt hatte, ging er zum Rektor der Universität und bat ihn, seinen Schüler prüfen zu wollen. Als der Rektor mit einigen Magistern in den Stall trat, legte Eulenspiegel seinem Schüler das Buch vor. Da der Esel den ganzen Vormittag gefastet hatte, machte er ein ganz gelehrtes Gesicht, als er den Folianten erblickte; hastig warf er die Blätter hin und her, und als er keinen Hafer fand, schrie er mit gewaltiger Stimme: »I A, I A!« Die Professoren waren mit den Leistungen des Esels wohl zufrieden, wenigstens soll der Rektor sich nicht geweigert haben, dem Eulenspiegel für jeden der beiden Vokale 5 Taler auszubezahlen. Doch scheint er ihn nicht ermuntert zu haben, den Unterricht fortzusetzen, denn man hat nie

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