Der große deutsche Märchenschatz
jedoch die Königin ihre Krone wieder aufgesetzt hatte, verdoppelten sie ihre Schnelligkeit und waren bald nahe hinter ihm. Er warf seinen Hut nach ihnen; aber obgleich ein Teil der Schlangen zurückblieb und ihn ganz durchlöcherte, so verfolgten ihn doch noch viele, hingen sich an das Pferd und wickelten sich um seine Beine, bis es niederfiel. Da lieà es der Königssohn im Stich und floh zu Fuà der Stadt zu.
Der König aber stand oben an einem Fenster und sah, wie der Jüngling voll Schrecken in den Palast hereinlief.
»Was ist dir widerfahren?«, fragte er ihn eilig. Da erzählte der Königssohn, was ihm begegnet war. Der alte König hörte aufmerksam zu; dann sprach er: »So weià ich denn endlich, wo der Schatz zu finden ist! Schon seit zehn Jahren schicke ich insgeheim Boten durch alle Länder, um diese Schlangenkrone zu suchen; aber nie konnte ich dazu kommen, und doch hat mir ein weiser Mann versichert, dass eine Schlangenkrone mir groÃes Glück verschaffen würde. Geschwind, mein Sohn, zeige mir den Platz, wo du sie gesehen hast; ich â ich muss diese Krone besitzen!«
Der Königssohn aber riet seinem Vater von einem so gefährlichen Unternehmen ab. »Seht«, sprach er, »ich bin selbst nur mit Mühe dem Tod entronnen; begebt euch nicht in gleiche Gefahr!« Der König jedoch lieà sich nicht abhalten. »Wenn du nicht mitgehen willst, so will ich es allein versuchen«, rief er.
Dann lieà er sein schnellstes Pferd satteln und ritt hinaus an den Ort, den ihm sein Sohn bezeichnet hatte. Er war aber kaum an den Bach gekommen, als ein Heer von zahllosen Schlangen sich ihm entgegenstellte und ihm eine solche Furcht einjagte, dass er augenblicklich wieder umkehrte.
Doch gab er die Hoffnung noch nicht auf, die Schlangenkrone zu erlangen. Er schickte viele seiner besten Soldaten und Reiter an den Platz; aber alle erschraken vor der Menge und dem Zorn der Schlangen so, dass sich keiner getraute, unter sie zu reiten, und sie kehrten unverrichteter Sache wieder zurück. Da versprach der König dem, der ihm die Schlangenkrone bringen würde, einen Teil seines Landes und lieà das im ganzen Reich bekannt machen.
Zu dieser Zeit lebten in einem Tal ein Mann und eine Frau; die hatten früher keine Kinder gehabt. Der Mann war aber einst in den Wald gegangen und hatte da ein kleines Kind gefunden; das nahmen sie zu sich und zogen es auf, und er und seine Frau hielten es wie ihr eigenes und liebten es wie ihre eigene Tochter. Das Mädchen wuchs heran und ward schön und fromm und hütete die paar Ziegen und Schafe, die den Reichtum ihrer Eltern ausmachten. Denn dafür hielt sie die Leute, bei denen sie war und nannte sie Vater und Mutter.
Eines Tages jedoch, als das Mädchen auf einem Berg seine Ziegen und Schafe weidete, verlief sich ein Schaf in das Gebüsch. Das Mädchen eilte ihm nach; aber das Schaf sprang immer weiter und weiter, bis es ihm endlich ganz aus den Augen war. Da kam das Mädchen an den Eingang einer Höhle, und da es glaubte, das Lamm möchte sich wohl dahinein verlaufen haben, ging es auch hin. Doch fand es das Schaf dort nicht. Weil ihm aber am Ende der Höhle ein sonderbares Licht entgegenstrahlte, folgte es diesem.
Der Glanz zog sich jedoch immer wieder vor ihr zurück; da fürchtete sie, den Rückweg nicht mehr zu finden, und wendete sich um; sobald sie aber den ersten Schritt getan hatte, wich der Boden unter ihren FüÃen und sie sank in eine zweite, tiefe Höhle hinab. Sie war indessen nicht gefallen, sondern nur ganz sanft hinabgeglitten. Als sie sich dort umsah, befand sie sich in einem groÃen unterirdischen Gemach; das wurde von glänzenden Säulen getragen. Die Wände schimmerten von Edelsteinen und erleuchteten es so wie mit Tageslicht; die rundgewölbte Decke war von einem blauen, glänzenden Marmorstück und goldene Sterne bewegten sich daran wie am Himmel. An dem einen Ende des Gemachs aber stand auf einem weiÃen Felsen eine grüne Urne. Die war aus einem Stein wie ein Blatt gearbeitet und darauf lag die Schlangenkönigin mit ihrer Krone auf dem Haupt. Das Mädchen ward von Staunen und Schreck ergriffen, als sie die groÃe Schlange sah. Die Königin sah sie aber eine Zeit lang unverwandt an; dann pfiff sie und durch eine Ãffnung in der Wand kamen zwei andere Schlangen; die eine trug ein Halsband mit Edelsteinen, die andere ein
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