Der große deutsche Märchenschatz
der im Zimmer befindlichen Betten gelegt und schlief schon fest, als die Mitternachtsstunde nahte. Da wurde leise die Türe geöffnet und herein trat ein grün gekleideter Zwerg. Der ging zum Herde, hielt die Hände über das Feuer und sah dabei den Schneider mit wehmütigem Blick an. Als der Schneider dieses sah, legte er ein Stück Holz ins Feuer; er glaubte dadurch dem Männlein nach seinem Willen getan zu haben. Wirklich freute sich der Zwerg, denn er klopfte dem Schneider auf die Achsel und entfernte sich dann mit heiterer Miene.
Bald darauf erwachte der Jäger, denn es war schon der Morgen angebrochen. Als er sich nun im Bett aufrichtete, um den Schneider von seiner Wache abzurufen, gewahrte er auf dem Tisch eine Menge von Speisen. Hocherfreut darüber sprang er gleich aus dem Bett und holte den Schneider. Noch immer staunend machten sie sich über das treffliche Mahl her und lieÃen es sich wohl schmecken, denn ihre Mägen hingen schon etwas schief. Nach dem Mahle unterhielten sie sich noch einige Zeit von ihrer Reise und den Abenteuern, die sie wohl noch zu erleben hätten.
Als die Nacht anbrach, sollte diesmal der Jäger die Wache haben.
Voll Angst und Bangigkeit ging der Schneider zu Bett, während der Jäger ohne Furcht in die Küche hinausging und dann tüchtig auf dem Herde feuerte. Auch diese Nacht kam das Männlein und wollte sich wärmen, aber es fand jetzt nicht den gutherzigen Schneider. Der Jäger, ein roher, unbesonnener Kerl, wollte es sich durchaus nicht gefallen lassen, dass ein so kleiner Sterzel es wage, sich an seinem Feuer zu wärmen. Er nahm daher ein Stück Holz und klopfte damit wacker auf die Finger des armen Männleins los. Ãber die Rohheit und Unbarmherzigkeit erzürnt, entfernte sich das Männlein mit den Worten: »Sollst es büÃen«, und drohte dem Jäger.
Der Schneider hatte dem Jäger von dem Vorfall in der vorigen Nacht nichts gesagt, denn er wollte die Wachenacht des Jägers abwarten, um zu sehen, ob denn dieser nicht auch einen solchen Besuch bekäme. Als ihm nun der Jäger die Sache erzählte, tat auch er ein Gleiches und machte dem Jäger Vorwürfe, dass er so grob und keck gewesen.
Mit noch gröÃerer Furcht als das erste Mal ging er diesen Abend auf die Wache. Zur bestimmten Stunde erschien auch wieder das Männlein und wärmte sich. Der Schneider wollte die Unart des Jägers wiedergutmachen und legte statt eines mehrere Stücke Holz nach. Das Männlein war darüber sichtbar erfreut, zog einen Ring von seinem Finger und steckte ihn an den Finger des Schneiders, indem er sprach: »Willst du irgendeinen Wunsch erfüllt haben, so brauchst du nur den Ring am Finger zu drehen, und ich werde dir sogleich zu Diensten sein.« Dann verneigte sich der Zwerg und ging.
Am Morgen erzählte der Schneider dem Jäger wieder das Vorgefallene, nur vom Ringe sagte er ihm nichts. Der Jäger aber verlachte ihn nur und sagte: »Du bist ein feiger Kerl, warte nur, ich werde dem Kleinen schon zusetzen.« Der Schneider aber warnte ihn davor, denn er hatte die sichere Ãberzeugung, dass sie in einem Zwergenschlosse sich befänden, und meinte, wenn sie hier keck wären, so würde es mit ihrem Fortkommen schlecht aussehen. Er suchte daher den Jäger zur eiligen Flucht zu bewegen, was ihnen möglich gewesen wäre, da der Schneider den Zauberring hatte. Der Jäger aber wollte den armen Zwerg durchaus noch einmal tüchtig durchprügeln, falls er es wagen würde, in die Küche zu kommen.
Der Jäger ging auf die Wache, der Schneider legte sich unruhig ins Bett und konnte nicht schlafen, denn er ahnte die Schläge, die sie bald erhalten würden. Zur gewöhnlichen Stunde kam das Männlein wie vorher und wollte sich wärmen. Der Jäger tat, wie er sich vorgenommen, und hieb mit aller Kraft auf den Buckel des Kleinen los. Jetzt aber war der Zwerg nicht so geduldig und ruhig wie früher; er erhob vielmehr ein Schreien, worauf es augenblicklich in der Küche von Zwergen wimmelte, die alle über den Jäger herfielen und ihn so lange derb durchprügelten, bis er sich durch das offene Tor ins Freie gerettet hatte. Der Schneider war aus dem Bett gesprungen und hatte glücklich ohne Schläge das Freie erreicht.
Noch eine lange Strecke liefen beide miteinander fort, bevor sie sich getrauten stehen zu bleiben, um sich zu erholen. Jetzt erst
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