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Der Grosse Eisenbahnraub: Roman

Der Grosse Eisenbahnraub: Roman

Titel: Der Grosse Eisenbahnraub: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Crichton
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Taggerts Karren gesessen.
    Das Anatomie-Gesetz von 1838 setzte dem Leichenhandel ein Ende, und Andrew Taggert wurde »Verteiler«, mit anderen Worten, er brachte gefälschtes Geld unter die Leute. Eine der Methoden ging so vor sich: Der Verteiler legte einem Ladeninhaber beim Kauf irgendeines Gegenstandes eine echte Münze hin und kramte dann mit der Bemerkung »Vielleicht habe ich es doch passend« in seiner Geldbörse. Darauf nahm er die echte Geldmünze wieder an sich. Schließlich sagte er: »Tut mir leid, hab’s doch nicht klein«, und bezahlte nun mit einer falschen Münze. Doch dieser langweiligen Kleinarbeit wurde Taggert bald überdrüssig. Er verlegte sich auf Trickbetrügereien und galt um 1845 als Meister dieses Fachs. Er muß sehr erfolgreich gearbeitet haben, jedenfalls bezog er in Camden Town eine respektable Wohnung. (Hier hatte auch Charles Dickens fünfzehn Jahre zuvor gelebt, als sein Vater im Gefängnis saß.) Taggert nahm sich auch eine Frau, eine gewisse Mary Maxwell, eine Witwe. Es ist eine jener Ironien des Schicksals, daß sich der Meister der Trickbetrüger damit selbst austrickste: Mary Maxwell war eine Falschmünzerin, die sich auf kleine Silbermünzen verlegt hatte. Sie hatte schon einige Gefängnisstrafen verbüßt und kannte sich daher im Gesetz aus. Ihr neuer Ehemann wußte da offensichtlich nicht so gut Bescheid, und sie hatte ihn nicht ohne Hintergedanken geheiratet.
    Die gesetzliche Stellung der Frau war schon damals Gegenstand eifriger Reformbestrebungen. Die Frauen besaßen aber noch nicht das Stimmrecht, durften kein Eigentum verwalten und keine letztwilligen Verfügungen treffen. Das Eigentum einer Frau, die von ihrem Mann getrennt lebte, war dem Gesetz zufolge noch immer das Eigentum ihres Ehemannes. Obwohl das Gesetz die Frauen als nahezu unzurechnungsfähige Wesen behandelte und die Männer in fast allen Lebenslagen zu bevorzugen schien, gab es doch ein paar Besonderheiten, von deren Spitzfindigkeit sich Taggert sehr bald überzeugen durfte.
    Im Jahre 1847 machte die Polizei bei Mary Taggert eine Razzia und erwischte sie auf frischer Tat. Sie war gerade dabei, Sixpenny-Stücke herzustellen. Sie nahm den Besuch der Polizei mit Gleichmut hin, verkündete freundlich, sie sei verheiratet, und erklärte den Polizeibeamten, wo sie ihren Ehemann finden könnten.
    Das Gesetz machte damals den Ehemann für jedes strafbare Verhalten seiner Frau verantwortlich. Man ging davon aus, daß eine Ehefrau, die eine Straftat beging, dazu von ihrem Mann angestiftet worden war. Die Ehefrau sei – so meinte man – immer nur ein Werkzeug ihres Mannes, vielleicht sogar gegen ihren eigenen Willen.
    Im Juli 1847 wurde Andrew Taggert verhaftet. Er wurde wegen Falschmünzerei zu acht Jahren Zuchthaus verurteilt, die er im Gefängnis von Bridewell verbüßen sollte.
    Mary Taggert wurde entlassen, ohne daß man ihr auch nur eine Verwarnung erteilt hätte. Als über ihren Mann das Urteil gesprochen wurde, soll sie im Gerichtssaal ein »lärmendes und krakeelendes Verhalten« an den Tag gelegt haben.
    Taggert saß drei Jahre ab. Dann wurde er auf Bewährung entlassen. Nach seiner Entlassung hieß es, er habe keinen Dampf mehr in den Knochen – die nicht ungewöhnliche Folge eines Gefängnisaufenthalts. Jedenfalls hatte Taggert nun nicht mehr den Mumm und das Selbstvertrauen, um sich weiterhin als Trickbetrüger zu betätigen. Er wurde Pferdedieb. Um 1854
    war er in den Lokalen, die von den Freunden des Turfs frequentiert wurden, eine vertraute Erscheinung. Bei dem großen Rennskandal im Jahre 1853 – es hieß, ein vier Jahre altes Pferd sei beim Derby als Dreijähriger an den Start gegangen – soll er seine Hand im Spiel gehabt haben. Natürlich wußte niemand etwas Genaueres, aber von Taggert als einem bekannten Pferdedieb wurde einfach angenommen, er habe bei dem Diebstahl des berühmtesten Rennpferds der letzten Jahre – Silver Whistle, eines Dreijährigen aus Derbyshire – mehr als nur eine Hand im Spiel gehabt.
    Pierce traf ihn im »Schwert und Krone« und eröffnete das Gespräch mit einem höchst absonderlichen Antrag. Taggert goß seinen Gin in sich hinein und fragte: »Einen was soll ich schnappen?«
    »Einen Leoparden«, erwiderte Pierce.
    »Und wo soll ein Christenmensch wie ich einen Leoparden hernehmen?«
    »Ich habe keine Ahnung«, sagte Pierce.
    »Wo um alles in der Welt«, sagte Taggert, »soll ich denn einen Leoparden finden? Höchstens in einem dieser Bestiarien – die haben alle

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