Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Grosse Eisenbahnraub: Roman

Der Grosse Eisenbahnraub: Roman

Titel: Der Grosse Eisenbahnraub: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Crichton
Vom Netzwerk:
Einigkeit darüber, wann ein Mensch nun wirklich tot sei – wie auch hundert Jahre später nicht, als die neuen Methoden der Organverpflanzung neue ethische Fragen auf warfen, mit denen die Ärzte sich auseinanderzusetzen haben. In diesem Zusammenhang sollte man sich auch vergegenwärtigen, daß Ärzte erst 1950 entdeckten, daß der Herzstillstand nicht endgültig sein muß. Und um 1850 hatte man allen Grund, die Verläßlichkeit der Anzeichen für den Eintritt des Todes zu bezweifeln.
    Die Zeitgenossen begegneten dieser Ungewißheit auf zweierlei Art. Die erste bestand darin, daß sie die Bestattung mehrere Tage oder gar eine ganze Woche hinausschoben – und auf den eindeutigen olfaktorischen Beweis für das endgültige Hinscheiden des geliebten Menschen aus dieser Welt warteten. Diese Neigung, eine Bestattung hinauszuschieben, nahm mitunter extreme Formen an. Als der Herzog von Wellington 1852 starb, wurde lange darüber debattiert, in welcher Form das Staatsbegräbnis vor sich gehen sollte. Der »Eiserne Herzog« hatte also zu warten, bis man sich geeinigt hatte, und wurde tatsächlich erst nach über zwei Monaten zu Grabe getragen.
    Die zweite Methode war technischer Natur: Man entwickelte eine Reihe ausgeklügelter Warnund Signalanlagen, die es einem Scheintoten erlaubten, seine Auferstehung zu neuem Leben zu verkünden. Wohlhabende Personen etwa ließen ein eisernes Rohr an dem Sarg anbringen, und irgendein altgedien ter Hausangestellter wurde damit beauftragt, auf dem Friedhof Tag und Nacht an dem aus der Erde ragenden Rohr Wache zu halten, und das oft über einen Monat lang. Es hätte ja sein können, daß der Begrabene plötzlich aufwachte und um Hilfe rief. Personen, die über der Erde, in Familiengrüften etwa, beigesetzt wurden, legte man in patentierte Särge mit Sprungdeckeln. An Armen und Beinen des Toten befestigte man ein Gewirr von Drähten, die bewirken sollten, daß die kleinste Bewegung des Körpers sofort den Sargdeckel hochschnellen ließ. Dieser Methode gaben viele Menschen vor jeder anderen den Vorzug, denn man glaubte, ein Scheintoter kehre aus einem leblosen Zustand entweder stumm oder aber partiell gelähmt ins Leben zurück.
    Daß die Deckel solcher Patentsärge zuweilen Monate oder gar Jahre später plötzlich aufsprangen (ohne Zweifel infolge einer Erschütterung von außen oder eines Nachlassens des Federmechanismus), erhöhte noch die allgemeine Ungewißheit darüber, wie lange der Scheintod eines Menschen währen konnte.
    Die meisten Vorrichtungen dieser Art waren sehr kostspielig und standen nur wohlhabenden Menschen zu Gebote.
    Die ärmeren entwickelten die einfachere Technik, ihren Verwandten irgendein Gerät mit ins Grab zu geben – ein Brecheisen oder eine Schaufel –, damit der Tote in dem wenig wahrscheinlichen Fall seiner Auferstehung sich selbst aus seiner mißlichen Lage befreien konnte.
    Der Markt für ein preiswertes Alarmsystem war also vorhanden. 1852 beantragte und erhielt George Bateson ein Patent für das »Batesonsche Wiedererweckungsgerät«, das in der Werbung als »ein höchst wirtschaftlicher, sinnreicher und verläßlicher Mechanismus, jeder anderen Methode überlegen«, gepriesen wurde. »Es gibt jedem Menschen, der einen schmerzlichen Verlust erlitten hat, den Seelenfrieden wieder. Aus den besten Materialien hergestellt.«
    Darunter die zusätzliche Bemerkung: »Ein vielfach erprobtes Gerät, das sich im Inland wie im Ausland bewährt hat.«
    »Batesons Glocke«, wie das Gerät bald allgemein genannt wurde, war nichts weiter als eine einfache Eisenglocke, die in einem Gehäuse auf dem Sargdeckel, über dem Kopf des Verblichenen, angebracht und durch eine Schnur mit der Hand des Toten verbunden wurde, »so daß schon das leiseste Zittern sofort das Läuten auslöst«. Batesons Glocken erfreuten sich großer Beliebtheit, und ein beachtlicher Prozentsatz aller Särge wurde damit ausgestattet. Damals starben allein in London dreitausend Menschen am Tag, und Batesons Geschäft blühte. Er selbst war bald ein reicher Mann, dem auch Ehrungen nicht versagt blieben: 1859 verlieh Königin Victoria ihm in Anerkennung für seine Verdienste den Order of the British Empire.
    Übrigens noch etwas Kurioses: Bateson selbst lebte in entsetzlicher Angst davor, lebendig begraben zu werden, und trieb seine Leute an, zunehmend kompliziertere Alarmanlagen zu entwickeln, die nach seinem Tode an seinem Sarg angebracht werden sollten. Um 1867 trieben ihn seine Wahnvorstellungen in

Weitere Kostenlose Bücher