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Der große Gatsby (German Edition)

Der große Gatsby (German Edition)

Titel: Der große Gatsby (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: F. Scott Fitzgerald
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schlug.
    »Hören Sie, alter Knabe«, platzte er auf einmal heraus. »Was halten Sie eigentlich von mir?«
    Ein wenig überrumpelt, setzte ich zu einer jener vagen, ausweichenden Antworten an, die diese Frage verdient.
    »Also, ich erzähle Ihnen jetzt etwas«, unterbrach er mich. »Ich will nicht, dass Sie aufgrund all der Geschichten, die Sie hören, einen falschen Eindruck von mir bekommen.«
    Also wusste er um die aberwitzigen Anschuldigungen, die den Gesprächen in seinen Salons die Würze gaben.
    »Ich erzähle Ihnen die heilige Wahrheit.« Seine rechte Hand zitierte auf einmal göttlichen Beistand herbei. »Ich bin ein Abkömmling wohlhabender Leute aus dem Mittelwesten, die inzwischen allesamt tot sind. Ich bin in Amerika aufgewachsen, habe aber in Oxford studiert, wie alle meine Vorfahren vor mir. Es ist eine Familientradition.«
    Er schaute mich von der Seite an – und ich begriff, warum Jordan Baker geglaubt hatte, dass er log. Er sagte den Halbsatz »in Oxford studiert« so hastig, ja er schien ihn zu verschlucken oder fast daran zu ersticken, als hätte er ihm vorher zu schaffen gemacht. Und damit stürzte seine gesamte Erklärung in sich zusammen, und ich fragte mich, ob nicht doch irgendetwas Zwielichtiges an ihm war.
    »Aus welchem Teil des Mittelwestens?«, fragte ich beiläufig.
    »San Francisco.«
    »Aha.«
    »Meine Verwandten sind alle gestorben, und mir fiel eine Menge Geld zu.«
    Seine Stimme war ernst, so als ob ihn die Erinnerung an diese plötzliche Auslöschung eines Klans bis heute verfolgte. Einen Moment lang glaubte ich, er wolle mich auf den Arm nehmen, doch ein rascher Blick in seine Richtung überzeugte mich vom Gegenteil.
    »Danach lebte ich wie ein junger Maharadscha in allen Hauptstädten Europas – Paris, Venedig, Rom –, sammelte Juwelen, in erster Linie Rubine, jagte Großwild, malte ein wenig, aber nur für mich selbst, und versuchte, etwas sehr Trauriges zu vergessen, das mir lange Zeit vorher passiert war.«
    Es gelang mir nur mit Mühe, mein Gelächter zu unterdrücken. Seine Formulierungen waren dermaßen abgedroschen, dass sie das Bild eines turbantragenden »Helden« heraufbeschworen, dem das Sägemehl aus allen Poren quoll, während er einen Tiger durch den Bois de Boulogne jagte.
    »Dann kam der Krieg, alter Knabe. Das war eine große Erleichterung, und ich setzte alles daran zu sterben, aber mein Leben war wohl irgendwie verhext. Als es losging, ließ ich mich zum Oberleutnant ernennen. In den Argonnen rückte ich mit zwei Maschinengewehrabteilungen so weit vor, dass die Infanterie uns auf knapp einem Kilometer Länge keine Flankendeckung geben konnte. Wir hielten zwei Tage und zwei Nächte aus, einhundertunddreißig Männer mit sechzehn Lewis-Gewehren, und als die Infanterie schließlich zu uns vordrang, fand sie unter den Bergen von Toten die Abzeichen dreier deutscher Divisionen. Ich wurde zum Major befördert, und sämtliche alliierte Regierungen verliehen mir einen Orden – sogar Montenegro, das kleine Montenegro unten an der Adria!«
    Das kleine Montenegro! Er hielt die Wörter in die Höhe und nickte ihnen zu – mit seinem Lächeln. Das Lächeln erfasste Montenegros ganze leidvolle Geschichte und verneigte sich vor den tapferen Kämpfen des montenegrinischen Volks. Es wusste die Verkettung nationaler Ereignisse, die Montenegros warmem kleinem Herzen diesen Tribut entlockt hatte, vollauf zu würdigen. Meine Zweifel wichen jetzt der Faszination; es war, als blätterte ich eilig ein Dutzend Zeitschriften durch.
    Er griff in seine Tasche, und ein an einem Band befestigtes Stück Metall fiel in meine Handfläche.
    »Das ist der aus Montenegro.«
    Zu meinem Erstaunen wirkte das Ding echt. Orderi di Danilo, lautete die kreisförmige Inschrift, Montenegro, Nicolas Rex.
    »Drehen Sie’s um.«
    Major Jay Gatsby, las ich, Für außerordentliche Tapferkeit.
    »Hier ist noch etwas, was ich immer bei mir trage. Ein Souvenir aus Oxford, aufgenommen in Trinity Quad – der Mann zu meiner Linken ist heute der Earl of Doncaster.«
    Es war eine Fotografie von einem halben Dutzend junger Männer in Blazern, die lässig in einem Bogengang standen, im Hintergrund eine Unmenge spitzer Türme. Und da war Gatsby. Er sah ein bisschen jünger aus als jetzt, nicht viel, und hielt einen Kricketschläger in der Hand.
    Dann war also alles wahr. Ich sah die flammenden Tigerfelle in seinem Palazzo am Canal Grande vor mir; ich sah ihn eine Truhe voller Rubine öffnen, damit sie mit ihrem

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