Der große Gatsby (German Edition)
Angst zu tun bekam – es klang ja so, als wäre ich ein billiger kleiner Ganove. Mit dem Ergebnis, dass sie kaum wusste, was sie sagte.«
Er setzte sich hin und zog ein finsteres Gesicht.
»Mag ja sein, dass sie ihn für einen kurzen Moment geliebt hat, als sie frisch verheiratet waren – und selbst da hat sie mich noch mehr geliebt.«
Plötzlich machte er eine sehr seltsame Bemerkung:
»Jedenfalls«, sagte er, »war es rein persönlich.«
Wie war das zu verstehen, wenn nicht so, dass die Angelegenheit für ihn eine Intensität hatte, die nicht messbar war?
Er kehrte aus Frankreich zurück, als Tom und Daisy noch in den Flitterwochen waren, und leistete sich vom Rest seines Wehrsolds eine leidvolle, aber unwiderstehliche Reise nach Louisville. Er blieb eine Woche dort, lief die Straßen ab, auf denen ihre Schritte gemeinsam durch die Novembernacht geklappert hatten, und suchte noch einmal die abgelegenen Orte auf, an die sie mit ihrem weißen Wagen gefahren waren. Genauso, wie Daisys Haus stets geheimnisvoller und fröhlicher auf ihn gewirkt hatte als andere Häuser, war für ihn auch die Stadt, obwohl Daisy nicht mehr dort wohnte, von melancholischer Schönheit durchdrungen.
Bei seiner Abreise war ihm, als hätte er sie finden können, wenn er sich nur mehr bemüht hätte – als ließe er sie hier zurück. In dem Bummelzug – er besaß jetzt keinen Pfennig mehr – war es heiß. Er ging auf die offene Plattform und setzte sich auf einen Klappstuhl, der Bahnhof entfernte sich, und die Rückseiten fremder Häuser zogen an ihm vorbei. Dann hinaus auf die Frühjahrsfelder, wo ein gelber Omnibus voller Menschen, die einst auf dieser oder jener Straße den blassen Zauber von Daisys Gesicht gewahrt haben mochten, eine Minute lang mit ihnen um die Wette fuhr.
Die Schienen machten eine Kurve und führten von der Sonne weg, die im Untergehen ihren Segen über die immer kleiner werdende Stadt zu breiten schien, in der Daisy ein- und ausgeatmet hatte. Er streckte verzweifelt die Hand aus, als wollte er wenigstens einen Lufthauch erhaschen, ein Stück von jenem Ort bewahren, den sie für ihn so verschönert hatte. Doch jetzt flog alles zu schnell an seinen verschleierten Augen vorbei, und er wusste: Diesen Teil, den frischesten und besten, hatte er für immer verloren.
Es war neun Uhr, als wir mit dem Frühstück fertig waren und auf die Veranda traten. Über Nacht hatte sich das Wetter spürbar geändert, und die Luft war von einem herbstlichen Aroma erfüllt. Der Gärtner, der Letzte von Gatsbys ehemaligen Angestellten, stand unten an der Treppe.
»Ich wollte heute das Wasser aus dem Pool lassen, Mr. Gatsby. Bald beginnen die Blätter zu fallen, und dann gibt’s jedes Mal Probleme mit den Rohren.«
»Bitte nicht heute«, antwortete Gatsby und sagte dann entschuldigend zur mir: »Denken Sie nur, alter Knabe, ich habe den Pool den ganzen Sommer über nicht benutzt.«
Ich schaute auf meine Uhr und stand auf.
»In zwölf Minuten geht mein Zug.«
Ich hatte keine Lust, in die Stadt zu fahren. Ich taugte heute zu keiner vernünftigen Arbeit, aber das war nicht alles – ich wollte Gatsby nicht allein lassen. Und so verpasste ich diesen Zug und auch den nächsten, ehe ich mich zum Aufbruch entschließen konnte.
»Ich rufe Sie an«, sagte ich.
»Tun Sie das, alter Knabe.«
»So gegen zwölf.«
Wir gingen langsam die Treppe hinunter.
»Daisy wird wahrscheinlich auch anrufen.« Er sah mich ängstlich an, als hoffte er, ich würde es ihm bestätigen.
»Ja, wahrscheinlich.«
»Schön – auf Wiedersehen.«
Wir schüttelten uns die Hand, und ich machte mich auf den Weg. Kurz bevor ich bei der Hecke angekommen war, fiel mir etwas ein, und ich drehte mich um.
»Das ist ein übles Pack«, rief ich ihm über den Rasen hinweg zu. »Sie sind mehr wert als die ganze verfluchte Bande zusammen.«
Ich bin heute noch froh, dass ich das gesagt habe. Es war das einzige Kompliment, das ich ihm je machte, weil ich alles an ihm missbilligte. Zuerst nickte er höflich, und dann breitete sich auf seinem Gesicht jenes strahlende, gewinnende Lächeln aus, so als wären wir hinsichtlich dieser Tatsache schon immer voll und ganz einer Meinung gewesen. Sein fabelhafter rosa Fummel von einem Anzug bildete einen leuchtenden Farbfleck vor den weißen Stufen, und ich dachte an den Abend vor drei Monaten zurück, als ich zum ersten Mal in sein herrschaftliches Haus gekommen war. Auf dem Rasen und in der Einfahrt hatten sich die Gesichter
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