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Der große Gatsby (German Edition)

Der große Gatsby (German Edition)

Titel: Der große Gatsby (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: F. Scott Fitzgerald
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worden. Auf irgendeinem Tisch fand ich schließlich den Humidor mit zwei alten, vertrockneten Zigaretten darin. Wir stießen die Terrassentüren des Wohnzimmers auf, setzten uns und rauchten in die Dunkelheit hinein.
    »Sie sollten besser verschwinden«, sagte ich. »Die werden Ihr Auto garantiert aufspüren.«
    » Jetzt verschwinden, alter Knabe?«
    »Fahren Sie für eine Woche nach Atlantic City oder rauf nach Montreal.«
    Das kam für ihn nicht in Frage. Er konnte Daisy unmöglich verlassen, ehe er nicht wusste, was sie tun würde. Er klammerte sich an eine letzte Hoffnung, und ich brachte es nicht über mich, ihn loszurütteln.
    In jener Nacht erzählte er mir die merkwürdige Geschichte seiner Jugend mit Dan Cody – erzählte sie mir, weil »Jay Gatsby« wie Glas an Toms harter Boshaftigkeit zersplittert und der heimliche, extravagante Traum ausgeträumt war. Ich glaube, er hätte jetzt alles zugegeben, rückhaltlos, aber er wollte über Daisy sprechen.
    Sie war das erste »feine« Mädchen, das er je kennengelernt hatte. In mancher nicht näher beschriebenen Eigenschaft hatte er mit ihresgleichen schon zu tun gehabt, doch war immer ein unsichtbarer Stacheldraht dazwischen gewesen. Er fand Daisy auf erregende Weise begehrenswert. Er besuchte sie – zuerst mit anderen Offizieren vom Camp Taylor, später allein – bei ihr zu Hause und war fasziniert: Er hatte noch nie ein so wunderschönes Haus von innen gesehen. Aber die gewisse atemlose Spannung, die in seinen Räumen herrschte, rührte daher, dass Daisy dort wohnte – dabei war es für sie so nebensächlich wie sein Zelt beim Militär für ihn. Es trug etwas Geheimnisvolles in sich, eine Ahnung von Schlafzimmern im oberen Stockwerk, die schöner und kühler waren als andere Schlafzimmer, von ausgelassenem und funkelndem Treiben auf den Fluren und Liebesaffären, die nicht muffig und in Lavendel verpackt, sondern frisch und lebendig waren und die glänzenden Automobile der Saison heraufbeschworen und Tanzfeste, deren Blumen eben erst welkten. Es erregte ihn auch, dass schon viele Männer vor ihm Daisy geliebt hatten – in seinen Augen steigerte das ihren Wert. Er spürte die Gegenwart dieser Männer überall im Haus, wo sie die Luft mit den Schatten und Echos noch vibrierender Gefühle erfüllten.
    Aber er wusste, dass er nur durch einen kolossalen Zufall in Daisys Haus geraten war. Wie glorreich seine Zukunft als Jay Gatsby auch immer sein mochte, gegenwärtig war er ein mittelloser junger Mann ohne Vergangenheit, und der unsichtbare Deckmantel seiner Uniform konnte ihm jeden Augenblick von den Schultern rutschen. Und so nutzte er die Zeit, so gut es ging. Er nahm sich, was er kriegen konnte, heißhungrig und skrupellos, nahm in einer stillen Oktobernacht auch Daisy – nahm sie, weil er im Grunde nicht einmal das Recht hatte, ihre Hand zu berühren.
    Er hätte sich dafür verachten können, denn zweifellos hatte er ihr falsche Tatsachen vorgespiegelt. Ich meine damit nicht, dass er auf seine Phantom-Millionen angespielt hätte, sondern dass er Daisy vorsätzlich ein Gefühl der Sicherheit gab; er ließ sie glauben, er entstamme im wesentlichen der gleichen Gesellschaftsschicht wie sie und sei vollkommen in der Lage, für sie zu sorgen. In Wirklichkeit jedoch verfügte er über keinerlei solche Möglichkeiten – er hatte keine gutgestellte Familie hinter sich und konnte nach dem Belieben einer unpersönlichen Staatsgewalt in der ganzen Welt herumgeschickt werden.
    Aber er verachtete sich nicht, und es kam nicht so, wie er es sich ausgemalt hatte. Vermutlich hatte er die Absicht gehabt, sich zu nehmen, was er kriegen konnte, und wieder zu gehen, doch dann merkte er, dass er sich auf die Jagd nach einem Gral eingelassen hatte. Daisy war eine außergewöhnliche Frau, so viel wusste er, doch er ahnte noch nicht, wie außergewöhnlich ein »feines« Mädchen wirklich sein konnte. Sie verschwand in ihrem reichen Haus, in ihrem reichen, vollen Leben und ließ Gatsby mit leeren Händen zurück. Das Problem war nur, dass er sich mit ihr verheiratet fühlte.
    Als sie sich zwei Tage später wiedertrafen, war Gatsby selbst der Atemlose, irgendwie Betrogene. Daisys Veranda erstrahlte im gekauften Luxus des Sternenlichts; das Korbgeflecht ihrer Sitzbank knarrte elegant, als sie sich zu ihm neigte und er ihren eigenwilligen, schönen Mund küsste. Sie hatte sich erkältet, weshalb ihre Stimme heiserer und betörender klang denn je, und Gatsby war überwältigt von so

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