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Der grosse Horizont

Der grosse Horizont

Titel: Der grosse Horizont Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerhard Roth
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auf exhibitionistische Weise zur Kamera hin. Die Brünette lächelte noch immer. Haid bemerkte, daß der Neger einen Schnurrbart trug und wunderte sich, daß er dieser Wahrnehmung Beachtung schenkte. Dieser schmale Schnurrbart im Gesicht des Negers schien ihm vorzugaukeln, daß das, was er sah, Wirklichkeit war. Die Brünette faßte jetzt nach dem Glied des Negers und spritzte sich langsam und ruhig eine Samenflut über das lächelnde Gesicht. Haid spähte aus der Kabine. Jemand verschwand soeben hinter einem schwarzen Vorhang, sonst regte sich nichts. Haid öffnete auf gut Glück einen der Vorhänge und sah einen Film in der gespenstisch leeren Kabine laufen, in dem einer weißen Frau die Schamhaare rasiert wurden. War der Mann in der Strickjacke schon wieder gegangen? Haid streifte zwischen den Kabinen herum, überlegte, was er tun sollte und entschloß sich dann, auf der Straße zu warten. Die Sonne schien hell und melancholisch. Vom Mann in der Strickjacke war keine Spur zu sehen. Er spazierte den Broadway hinunter und dachte an die lächelnde Brünette. Als er fünfzehn Jahre alt gewesen war, hatte er nach Kinobesuchen in derselben Weise an Filmstars gedacht, die er gesehen hatte. Es war ein anonymes Begehren, das er verspürt hatte, eine Selbstverstrickung in illusorische Vorstellungen. Aus den Nischen in den Häusern lösten sich Gestalten und forderten ihn auf einzutreten. Die Lokale sahen von außen wenig vertrauenerweckend aus wie bankrotte Lichtspielhäuser in Vorstädten. Alles stank nach Bluff und Suggestion. Er bog hinter einem Reklameschild für Coca-Cola ab und ging in das chinesische Viertel zurück. Eher aus Pflichtgefühl, sein Spiel zu Ende zu spielen, als aus Spaß an der Autohypnose, suchte er den Schnellfotoladen, fand ihn und schlenderte vorbei. Er konnte jederzeit seine Einbildungskraft steigern und damit seine Wahrnehmungen verändern. Er dachte in diesem Augenblick, während er vor dem Schnellfotoladen auf- und abspazierte, daß alles mit der Einbildungskraft zusammenhing. Die Einzelheiten zerstörten immer die Weltbilder. Ein Weltbild war wie ein Fingerhut, den man auf die Welt zu legen beabsichtigte. Sobald man merkte, daß der Fingerhut zu klein war, tauschte man das Weltbild aus und sah plötzlich wieder etwas Neues, das sich aber ebenso bald wieder nur als ein Ausschnitt erwies. Hermann Hesse, Philipp Marlowe, Karl Marx, er konnte sie beliebig für sich sehen und denken lassen – für sich! Aber er wollte selbst Erfahrungen machen! – Er war süchtig danach, Erfahrungen zu machen.
     
     
11
     
     
    Er betrat ein chinesisches Speiserestaurant, bestellte Egg-Flowersoup und BARBEQ-Huhn, saß da, aß nur wenig und trank Bier, das ihm in einem Plastikglas serviert wurde. Am Nebentisch aßen Kinder eine Suppe mit unzerteilten kleinen Tintenfischen. Vor dem Lokal lief ein Neger im Trainingsanzug und einer Wollmütze auf dem Kopf die Straße hinunter und sah aus wie Joe Frazier vor einem großen Kampf. Haid betrachtete gedankenverloren die gebratenen, glänzenden Hühnerteile, die vor ihm auf dem Tisch lagen. Seine Frau hatte nie Huhn gegessen. Es hatte ihr vor jedem Geflügel geekelt und deshalb hatte er seit langer Zeit keines mehr gegessen. Es überraschte ihn daher, daß ihn schon der Anblick der Speisen sättigte. Dann fiel ihm die lächelnde Brünette ein und vermischte sich mit dem Bild seiner Frau. Seine Frau war ihm gegenüber sexuell nie besonders anspruchsvoll gewesen, und es hatte ihm immer große Anstrengungen gekostet, sie aus ihrer Reserve zu locken. Wie mochte sie mit ihrem Liebhaber leben? Der Liebhaber war ein kleiner, gedrungener Rechtsanwalt, der es geschickt verstand, den Unbekümmerten zu spielen. Er war ein Mann, dem man keine Affären zutraute, der aber offensichtlich erreichte, was er begehrte. Haid hatte sich dagegen gewehrt, Genaueres über die Beziehung zu erfahren, und doch hatte er immer nur mit Mühe dagegen angekämpft, Fragen zu stellen. Dann richteten sich seine sorgenvollen Gedanken auf die Buchhandlung. Er fragte sich, ob die Angestellten mit den täglichen Problemen zurechtkamen, verdrängte aber seine Sorgen und zu seiner Erleichterung fiel ihm ein, daß er sich auf dem Weg zu Mehring befand. Er trank noch einen Schluck aus dem Plastikglas und blickte auf den Tisch, an dem die Kinder saßen. Er hatte nie Kinder gehabt. Obwohl er beim Anblick von Kindern nicht sentimental wurde, machte er automatisch ein freundliches Gesicht, sobald ihn ein Kind

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