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Der grosse Horizont

Der grosse Horizont

Titel: Der grosse Horizont Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerhard Roth
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anblickte. Auch wenn ihn ein Kind nervös machte, lächelte er. Es war derselbe Mechanismus, der in Kraft trat, wenn er Tiere mit ihren Besitzern sah, sobald er die Besitzer zumindest flüchtig kannte. Der Rechtsanwalt, mit dem seine Frau ihn betrogen hatte, besaß einen ausgewachsenen Schäferhund. Haid hatte ihn sofort gehaßt, als er ihn zum ersten Mal gesehen hatte. Er hatte sogar in einem irrwitzigen Einfall überlegt, ihn zu vergiften. Seiner Frau hingegen hatte er nur einmal im Traum Gewalt antun wollen. Am nächsten Tag war er zum Schein zur Arbeit gegangen, hatte sich im Espresso gegenüber seiner Wohnung auf einen Hocker gesetzt und die Haustüre beobachtet. Als er eine Tasse Tee bestellt und sich eine Zigarette angezündet hatte, hatte er sich elend gefühlt, als wäre er im Begriff gewesen, etwas Verbotenes zu tun. Eine Stunde später hatte er gesehen, wie seine Frau das Haus verlassen hatte. Er war ihr gefolgt. Den halben Vormittag über war er ihr gefolgt, ohne daß sie Argwohn geschöpft hatte. Sie war durch die Stadt spaziert, hatte Kleinigkeiten eingekauft und schließlich den Rechtsanwalt vor einem Uhrengeschäft getroffen. Der Rechtsanwalt war in Begleitung seines Schäferhundes gewesen, den seine Frau mit einer ihn verletzenden Vertraulichkeit über den Kopf gestreichelt hatte. Dann waren sie in einen hellbeigen Peugeot gestiegen und, ohne ihn zu bemerken, davongefahren. Bestürzt war Haid in seine Buchhandlung gelaufen, hatte sich in seinem Bürozimmer eingeschlossen und keinen Gedanken fassen können. War es dieses Erlebnis, das ihn dazu getrieben hatte, dem Mann und der Frau im Studebaker von der Bank of America zum Schnellfotoladen und bis zum pornographischen Automatenkino zu folgen? Und war es nicht grotesk, daß ihm als Resultat seiner Verfolgung ein Geschlechtsverkehr gezeigt worden war? Für einen kurzen Augenblick empfand er zwischen beiden Erlebnissen einen geheimnisvollen Zusammenhang, der darauf abzielte, ihn zu erniedrigen. Die Kinder am Nebentisch waren aufgestanden und durch das Lokal gelaufen, wobei sie einen Sessel zu Boden gestoßen hatten. Der auf dem Boden aufprallende Sessel hatte Haid erschreckt und ihn in das kleine chinesische Speiselokal zurückgeholt.
     
     
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    Nachdem er bezahlt hatte, blieb er noch ein wenig vor den Hühnerteilchen und dem halbgeleerten Bierglas sitzen. Die Kellner unterhielten sich in einem seltsamen Singsang von Englisch, als wollten sie auch beim Sprechen beweisen, daß sie Chinesen waren. Kaum war Haid wieder auf der Straße, als eine Sirene aufheulte. Ein Kamerawagen fuhr hinter einem Auto her und filmte es. Haid hatte das Gefühl, selbst gefilmt zu werden. Ein Neger mit einer roten Plastikjacke, die aussah wie eine Schwimmweste, starrte durch eine Auslagenscheibe. Es war ein aufgegebenes Geschäft mit heruntergerissenen Tapeten. Unter der Auslagenscheibe war ein Feuerschlaucheinsatz aus Messing in die Wand gemauert, der blendendes Sonnenlicht verbreitete. Haid bemerkte, daß sein Daumen nervös zuckte. Er dachte, wie sinnlos all diese Bilder waren, die er sah. Es war auch sinnlos, daß er hier ging. Nein, Gott verbarg sich nicht in jedem Atom des Feuerschlaucheinsatzes aus Messing, der Plastikjacke des Negers, verbarg sich nicht in all den Zwecken und technischen Regelmechanismen, in all den leeren Gesichtern. Haid stellte sich neben den Neger vor die Auslagenscheibe und betrachtete sein eigenes Gesicht. Es war ebenso leer wie das aller anderen. Einige Straßen weiter setzte er sich in RUBY TABOOS Weinlokal. Hinter der Theke saß ein Bursche mit einer Hasenscharte und musterte ihn interessiert. Haid trank einen Schluck kalifornischen Landweins. Der Mann mit der Hasenscharte unterhielt sich gerade mit einem jungen Mann über Astrologie. Nach jedem Satz warf er einen Blick auf Haid, als wollte er ihm die Möglichkeit geben, sich am Gespräch zu beteiligen. Um auf den fragenden Blick nicht eingehen zu müssen, bezahlte Haid und ging. Die Bilder, die er jetzt sah, störten ihn, ohne daß er sich von ihnen abzuwenden vermochte. Vielleicht kamen sie ihm nur deshalb mit großer Eindringlichkeit zum Bewußtsein, weil er sich als Fremdkörper fühlte. Er wandte seinen Blick von den Reklameschildern weg und blickte geradeaus. Im gleichen Augenblick sah er einen farbigen Schuhputzer, der in einer Wandnische saß. Die Nische war mit dunkelbraunem Holz verkleidet und auf einem Podest standen zwei dunkelbraune Stühle. Ohne zu wissen warum, ließ

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