Der grosse Horizont
»Ich wollte heute noch nach Sausalito fahren, aber du bist so spät gekommen. Was ist mit dir, Carson? Ich habe ihr gestern einen kranken Halswirbel massiert. Sie leidet unter Schmerzen in der Wirbelsäule.« Carson saß schweigend im Wagen und blickte hinaus. »Wir können die Route jetzt nur mit dem Wagen abfahren, ohne viel auszusteigen. Was ist mit dir, Carson? – Sie ist traurig. Rede mit ihr!«
Haid dachte nach. »Ich würde am liebsten wieder aussteigen«, dachte er. Wenn sie traurig war, sollte sie selbst etwas sagen. Er berührte mit einer Hand ihren Rücken und fühlte das Schulterblatt, das knochig aus ihrem Rücken herausstand. Carson tat, als habe er soeben nicht ihren Körper berührt, sondern irgendeine tote Materie, die im Auto herumlag und zu der sie keine Beziehung hatte. Haid ließ seine Hand auf ihrem Rücken und zog sie dann zurück.
»Ich hoffe, du mußt im Auto nicht rauchen«, sagte Mehring. »Sonst bleiben wir besser stehen.«
Ein junger Motorradfahrer in einer blauen Clubuniform mit aufgenähten, farbigen Abzeichen überholte sie spielerisch mit seiner schweren, blaulackierten Harley Davidson. Carson lachte durch die Nase, als habe sie etwas Komisches gesehen oder als habe sie ein Gedanke überrascht, der einen komischen Sachverhalt aufdeckte. Haid blickte nun selbst schweigend zum Fenster hinaus, denn er mochte Leute nicht, die stumm dasaßen und über ihre eigenen Gedanken lachten. »Sie führen eine Buchhandlung?«, fragte sie ihn, ohne ihn anzusehen.
»Ja«, antwortete Haid und sah das kleine Geschäft mit den vollgepfropften Regalen vor sich. Er drehte sich zu Carson hin, aber sie blickte ihn nicht an, sondern hatte sich in ihren Armeelumberjack verkrümmt und machte ein unfreundliches Gesicht. Gleich darauf sah er, daß Mehring sie im Rückspiegel beobachtete. Als Haids Blick Mehrings Auge im Rückspiegel traf, blickte Mehring konzentriert auf die Fahrbahn und begann zu sprechen.
»Sie zieht sich ganz in sich zurück, wenn sie traurig ist«, sagte er auf deutsch.
»Was sagst du da?«, fragte Carson, die fühlte, daß er über sie sprach.
Mehring übersetzte und Carson fuhr ihn an, nicht von ihr zu sprechen.
»Dann sitz nicht so herum!«, antwortete Mehring erregt. »Dein Herumsitzen macht mich ganz verrückt! Ich hab dich nicht gebeten mitzufahren!«
In Limousinen glitten weiße, schwarze und gelbe Sonntagsausflügler mit ihren Kindern vorbei. Auf dem Meer segelten vereinzelt Boote. Das Auto fuhr zwischen bunten Holzhäusern mit Erkern und kleinen Feuerleitern. Neger fischten mit Angeln in einer Bucht.
»Ich wollte mir hier einmal ein Haus kaufen, für den Sommer«, sagte Mehring.
»Ich finde die Häuser sehr schön«, unterbrach ihn Haid. Sie fuhren an langen Angelstegen aus Holz vorbei, an welchen vertäute Segelboote schaukelten; die Häuser waren ihm angenehm neu und schon vertraut, alles grünte, und es war warm.
Vor einem weißen Raddampfer mit schwarzem Rauchfang wendete Mehring und fuhr zu einer Tankstelle. Als er ausgestiegen war, um mit dem Tankwart zu sprechen, griff Carson nach Haids Hand und drückte sie.
»Vertritt dir die Füße!«, rief Mehring und steckte den Kopf durch das heruntergekurbelte Fenster. »Ich bleibe im Auto sitzen«, sagte Carson. »Dann bleib nur sitzen!«, sagte Mehring und sprach wieder mit dem Tankwart.
Haid stieg aus und spazierte zu einem Anlegesteg. Dort drehte er sich um, sah, wie Mehring bezahlte und kam zurück. Haids Füße waren staubig, da er abseits der Fahrbahn gegangen war. Er hatte Mitleid mit Mehring empfunden, als er an sich und seine Frau gedacht hatte, dann aber war ihm eingefallen, daß er nur Mitleid mit sich selbst gehabt hatte und daß Mehring ihm egal war. Auch Carson war ihm egal. Früher hatte er es auf Reisen nahezu als Verpflichtung empfunden, sich auf jedes Abenteuer einzulassen, aber davon spürte er im Augenblick nichts. Am liebsten wäre er mit einem Bus zurückgefahren. Er stellte sich die Busfahrt als etwas Begehrenswertes vor, das er nicht würde erreichen können. Mehring saß bereits wieder im Wagen, der Motor lief, und Carson behandelte ihn wie Luft. Sie nahm ihm offensichtlich übel, daß er nicht mit ihr im Wagen geblieben war. Haid rückte in seine Ecke. »Übrigens, wir fahren am Nachmittag zu McClure. Du kennst ihn?« – fragte Mehring.
»Ich habe schon ein paar Bücher von ihm verkauft.«
»Ich habe eine Linzertorte für ihn machen lassen bei einem vorzüglichen Zuckerbäcker.«
An der
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