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Der grosse Horizont

Der grosse Horizont

Titel: Der grosse Horizont Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerhard Roth
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verbinden. Eine Frauenstimme meldete sich. Sie richtete ihm aus, daß Kapra ihn erwarte. Er ging in das Badezimmer und wusch sich die Haare. Er dachte an seine Frau. Als er ihr gestanden hatte, daß er sie verfolgt und mit dem Rechtsanwalt gesehen hatte, hatte sie geantwortet, sie habe ihm bereits mitgeteilt, daß sie ihn betrüge. Eine Scheidung sei wohl das beste. Er empfand Sehnsucht, mit ihr zu sprechen. Sollte er sie anrufen? Was würde der Rechtsanwalt dazu sagen, wenn er sie zu sprechen verlangte? Und seine Frau? Er hatte mit ihr seit der Scheidung nicht mehr gesprochen. Nein, es war am besten, er versuchte weiter zu vergessen. Er trat mit feuchten Haaren ans Fenster, öffnete es und ließ die Sonne auf seinen Kopf scheinen. Dann rief er Mehring an und sagte ihm, daß er am nächsten Tag abreisen werde. »Das trifft sich gut«, antwortete Mehring, »ich fahr morgen nach Sacramento. Schon ganz in der Früh. Ich machte mir Sorgen, was du hier allein tust.«
    Haid zog sich an, steckte das Buch ein, das er irrtümlich mitgenommen hatte und verlangte die Rechnung. Er ging in die Hotelhalle und nahm sich Geld und das Scheckbuch aus dem Safe. Die alte Frau in der Portiersloge ließ ihn die Quittung unterschreiben, und Haid stellte einen Scheck aus. Als er den Scheck wieder im Safe deponieren wollte, murmelte die alte Frau ein Schimpfwort und gab ihm den Schlüssel nicht zurück, worauf Haid den Scheck einstecken mußte. Als er ein paar Cents für die Hotelrechnung nicht sofort in seinen Taschen fand, seufzte sie und zeigte ihm ihre Ungehaltenheit. Haid wußte keine Antwort. Er kramte im Hosensack und legte die Münzen auf das Pult. Dann ging er ohne zu grüßen davon. Der Portier stand vor dem Eingang und winkte ein Taxi herbei. Als Haid ins Freie treten wollte, stand wie aus dem Nichts ein betrunkener Neger vor ihm, boxte ihn gegen die Schulter und verlangte Geld. Er lallte unverständlich vor sich hin und sein Gesicht war dem Haids so nahe, daß Haid die feinen Adern im Weiß seiner Augäpfel sehen konnte. Haid drehte sich von ihm weg. Im nächsten Moment hatte der Portier den Neger am Ärmel gefaßt und ihn aus dem Hotel hinausgestoßen. Der Neger stand schwankend auf dem Gehsteig und machte ein nachdenkliches Gesicht. Haid sah, daß er mit sich selbst sprach. Er griff nach seinem Geld, um es für die Taxifahrt bereitzuhalten und bemerkte, daß sein Paß fehlte. Hatte er ihn im Zimmer vergessen? Er bat den Portier, das Taxi warten zu lassen und eilte in das Zimmer zurück. Da der Lift besetzt war, lief er die Treppen hoch. Er durchwühlte den Koffer und die Läden im Wäscheschrank, ohne seinen Paß zu finden. Er verspürte sich mit einer quälenden Intensität. Es fiel ihm ein, wie stark er sich, seit er sich in Amerika befand, immer selbst empfand. Als er den Epileptiker gesehen hatte, als er sich eingebildet hatte, Hesse in Chinatown zu begegnen, als ihm nach dem Kaffee bei McClure übel geworden war, als er sein Geldtäschchen verloren hatte, als er mit Carson geschlafen hatte, immer hatte er mit einer unerträglichen Intensität sich selbst gespürt. Nein, es waren nicht nur die Szenen gewesen, die ihm einfielen, es war die ganze Zeit über das Empfinden der eigenen Existenz, ein schmerzliches Selbsterfahren. Noch nie war ihm so bewußt geworden, wie das Leben ihm unter den Händen weglief; auch wenn er durch die Straßen hetzte, hetzte ihm das Leben davon. Für kurze Augenblicke glaubte er, daß seine Reise nur eine Aneinanderreihung angstvoller Erfahrungen war, daß jede neue Erfahrung ihn erschreckt hatte. Er rief Mehring an und fragte ihn, ob er den Paß bei ihm verloren habe. Mehring legte den Hörer auf, und Haid rief ihn nochmals an. Nach einiger Zeit hob Mehring wieder ab. Nein, er hatte den Paß nicht gefunden. Vielleicht hatte er ihn in Spivey’s Swiss Chalet verloren. Mehring versprach, sich darum zu kümmern, und Haid lief die Treppen hinunter. Er war von Angst so gedemütigt, daß ihm der Schweiß ausbrach. Als die drei Neger ihn verfolgt hatten, war es Todesangst gewesen, die ihn befallen hatte. Er wußte das jetzt. Es war eine würgende Angst gewesen. Dann fiel ihm ein Satz ein: »Komik und Elend. Elend und Komik …« Er hatte ihn in einer Geschichte von Thomas Mann gelesen. Ja, er war gewiß eine komische Figur. Es war für ihn so etwas wie ein persönliches Geheimnis: ein komischer Mensch zu sein. Häufig übertrieb er die komischen Eigenschaften seines Wesens vor anderen, um sie besser

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