Der grosse Horizont
die sie bereits mehrfach erzählt hatten und auf welche sie mit Freundlichkeit zu reagieren pflegten. Wenn Haid etwas sprach oder tat, reagierte er gleichsam im vornhinein auf die Vorstellung, die O’Maley, wie er glaubte, sich von ihm machte. Und Haid fiel auch auf, daß dies nicht nur für sein Zusammensein mit O’Maley zutraf. Hatte er nicht auch mit seiner Frau gelebt, wie er geglaubt hatte, sie erwartete es von ihm?
3
Als er durch die Ankunftshalle ging und die Spieler vor den Automaten sah, fragte er sich, was er hier eigentlich wollte. Er hatte Angst vor dem Spielen. Wenn er hier verlor, kam er sich betrogen vor, und wenn er gewann, verlor er die Beziehung zum Gewinn. Es war ihm aufgefallen, daß er – sobald er gewann – keine Begriffe mehr mit Geldsummen verband, sondern weiterspielte, als verpflichte ihn ein Gewinn gewissermaßen dazu, ihn wieder aufs Spiel zu setzen oder womöglich sogar zu verlieren. Er stellte den Koffer zu Boden. O’Maley stand vor einem der Automaten. Sein Arm bewegte den Nickelhebel nach unten und sein Gesicht drückte dieselbe Gleichgültigeit aus, wie die Gesichter der übrigen Spieler. Haid blickte an O’Maley vorbei und beobachtete den Lauf der Ziffern, Obstbilder und Buchstaben auf dem Automaten. Er nahm den Koffer wieder auf, ging vor das Flughafengebäude und stieg in ein Taxi, in dem ein Puertoricaner hinter dem Lenkrad saß.
4
Die Sonne strahlte so hell vom riesigen, blauen Himmel, daß Haids Augen zu schmerzen begannen. Er beugte sich nach vorne, sah den behaarten Arm des Puertoricaners, die Gummimatte auf dem Fußboden und dachte daran, daß die Karosserie des Autos glühend heiß sein mußte und daß das Licht von der lackierten Oberfläche grell reflektiert wurde. Als er wieder aufblickte, fiel ihm ein, daß er auf der Flucht war. Vielleicht hatte Mehring Carson schon gefunden. – Sie hielten an einer Kreuzung, direkt unter einer Tafel, auf die eine Frau mit rotem und schmerzhaft verzerrtem Gesicht gemalt war, darunter stand in knallroten Buchstaben: Beenden Sie Ihre Sonnenbrandschmerzen: SOLARCAINE. Das Gesicht der Frau drückte sowohl sexuelle Verzückung als auch etwas Gequältes aus. Haid dachte an Carson, er konnte sich nicht mehr an ihren letzten Gesichtsausdruck erinnern. Nein, er hatte überhaupt vergessen, wie ihr Gesicht aussah! Wenn er an sie dachte, fiel ihm ihr Gesicht nur für Sekundenbruchteile ein: Eine bestimmte Drehung ihres Kopfes oder wie sie verschlossen im Auto gesessen war, als sie nach Sausalito gefahren waren. Seltsamerweise erinnerte er sich an ihre Hände und die Bekleidung viel besser. Und seine Frau? Er konnte sich ihr Gesicht sehr deutlich vorstellen, aber es fiel ihm auf, daß er sich nur an Fotografien erinnerte, die er manchmal betrachtet hatte. Die Fotografien fielen ihm in allen Einzelheiten ein.
5
Das Golden Key Motel ist ein langgestrecktes Gebäude direkt am Strip. Um den Swimmingpool sind Zypressen gepflanzt und auf dem künstlichen Rasen stehen pastellfarbene Plastiksonnenschirme. O’Maley bestand auf einem Zweibettzimmer. Haid hatte nicht den Mut aufgebracht zu widersprechen. Er bezahlte für zwei Tage im voraus und fuhr mit dem Lift in das letzte Stockwerk. Da der Lift zur Außenseite hin aus Glas war, konnte er sehen, wie ein junges Mädchen vom Sprungbrett einen Kopfsprung in das Wasser machte. Er dachte an Carson und Friederike und war schließlich froh, als O’Maley mit ihm sprach. Auf dem Gang schob eine fette Negerin einen metallfarbenen Plastikwagen mit gebrauchter Bettwäsche vor sich her. O’Maley machte einen schmutzigen Witz über die Negerin und Haid lachte gegen seinen Willen. Im Zimmer warf sich O’Maley in einen Stuhl, und während er eine Zigarette anzündete, sagte er, daß er einen Spaziergang machen werde. Haid könne sich mittlerweile ausruhen. Er brauche ihn nicht zu begleiten. Haid zuckte die Achseln und gab keine Antwort. Was wollte O’Maley? Telefonieren? Sich auf der Polizeistation melden? Aber warum hatte er ihn nach Las Vegas begleitet und nicht schon in Santa Monica gefaßt? Und wenn O’Maley nichts mit der Polizei zu tun hatte, was wollte er dann? … Vielleicht kannte er eine Frau hier oder vielleicht mußte er erst finanzielle Angelegenheiten regeln? – O’Maley wechselte die Schuhe und verließ das Zimmer. Kaum hatte er die Tür hinter sich geschlossen, als in Haid ein neuer Verdacht aufkam. Womöglich gab O’Maley nur vor, einen
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