Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der grosse Horizont

Der grosse Horizont

Titel: Der grosse Horizont Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerhard Roth
Vom Netzwerk:
wußte nicht, was weiter geschehen sollte.
    Als sie in das Haus zurückkehrten, kam ihnen Kapra entgegen und erzählte, daß Hacker angerufen hatte. Haid ließ sich auf das Bett fallen. Einer der Hunde sprang zu ihm auf das Bett, stieß ihn mit der Schnauze und ließ sich streicheln. Haid erinnerte sich, daß er als Kind oft nicht gewußt hatte, ob er die Realität nur träumte.

LAS VEGAS
1
     
     
    Haid hatte in der Nacht kaum geschlafen. Der Gedanke, O’Maley würde ihn begleiten, beunruhigte und ängstigte ihn. Als er am Morgen seine Gepäckstücke ordnete, war er voller Verzweiflung. Kapra betrat das Zimmer und trug einen Koffer die Holztreppe hinauf. Der Hund lief hinter Kapra bis zum Auto. Auf der letzten Treppenstufe fielen Haid drei blaue, mit Wasser gefüllte Glasflaschen auf. Die Sonne, die auf die Wasserflaschen fiel, erzeugte einen seltsam blau leuchtenden Schatten hinter den Flaschen. O’Maley saß im Fond des Autos, die Reisetasche auf den Knien. Haid stellte einen starken Milchgeruch fest, den O’Maley wie etwas Selbstverständliches hinzunehmen schien. Er starrte wortlos durch das Fenster ins Freie. Es schien, als notierte er sich im Kopf die blaugelben und gelbschwarzen Autonummern der vorbeigleitenden Fahrzeuge. Tatsächlich nahm er einen Bleistift heraus und notierte sich zwischendurch eine Autonummer. Er bemerkte den fragenden Blick Haids und erklärte, daß er sich Roulettnummern notiere. Kapra lachte. Haid spürte seine Verlassenheit wie ein schweres Gewicht. Ihm fiel ein, daß Horkheimer von der unabänderlichen Verlassenheit gesprochen hatte und von der Endgültigkeit dieser Verlassenheit. Der Milchgeruch im Auto und das Schweigen O’Maleys schienen Haid wie Hinweise auf diese Endgültigkeit. Die Erinnerung an den Tod Carsons war mit einem Gefühl der Verlassenheit verbunden, der er sich jetzt immer mehr bewußt wurde. Es war keine romantische Verlassenheit, wie sie sich Haid als Jugendlicher eingeredet hatte, um sein Ich stärker zu fühlen, sondern eine Verlassenheit, die Ekel und Scham in ihm erzeugte. Es ekelte ihn plötzlich davor, all das wahrzunehmen: Die silbrigen Aluminiumbehälter, die für den Abfall die Straße entlang aufgestellt waren, die grüne Landschaft des Golfplatzes mit sinnlos im Wind flatternden bunten Fähnchen, den Mann mit dem Wasserschlauch, der hinter einem niedrigen, weißen Holzzaun sein Gemüse besprengte, den Neger mit gelber Jacke, der Pakete in einem Lastwagen verstaute, den kleinen Hafen mit Motorbooten, das alles zu sehen ekelte ihn mit einem Male so sehr, daß er eine Zeitung vom Boden aufhob und nur die schwarzen Buchstaben anstarrte, als könne er an ihnen Halt finden. Die Scham, daß er wie ein Automat alle Vereinbarungen eingehalten hatte, die ihn Zusammenhänge und SINN erkennen ließen, daß er selbst immer wieder von Zusammenhängen sprach, ohne sie selbst zuvor mühsam gesucht zu haben, ließ in ihm den Wunsch aufkommen, nicht sprechen zu müssen. Die Wahrnehmungen schienen den »blöden Optimismus der Gesellschaft, die ihr eigenes Wissen zu einer neuen Religion aufspreizte«, wie Horkheimer geschrieben hatte, zu zeigen. Haid wollte gerade darüber zu sprechen beginnen, als er bemerkte, daß das Auto langsamer fuhr und schließlich anhielt. Er warf einen Blick aus dem Fenster und sah ein Weizenfeld. Parkende Autos hatten das Weizenfeld umstellt. Im Feld suchten Neger mit einem Rudel von Hunden, die sie an langen Leinen führten, nach irgend etwas. Einer der Neger trug einen dunklen Hut. Er stand am Rande des Feldes und schrie den Negern mit den Hunden etwas zu. Die Hunde zerrten die Neger hinter sich her. Kapra drehte das Radio auf und fuhr an. Haid blickte zurück. Das Suchen der Neger im Feld hatte etwas von einer zynischen Gewalttätigkeit, etwas von Anarchie. Als sie sich dem Flugplatz näherten, wurde Haid ruhiger. Er stieg aus dem Auto und der Gedanke, daß er, Daniel Haid, einen menschlichen Körper hatte, erschien ihm so komisch, daß er laut auflachte.
     
     
2
     
     
    Durch die Anwesenheit O’Maleys paßte Haid sein Verhalten immer mehr den Erwartungen O’Maleys an. Wenn O’Maley einen Witz machte, mußte er darauf reagieren, wie er bei O’Maleys Witzen von Anfang an reagiert hatte. Er mußte so schweigsam oder so gesprächig sein, wie er es von Anfang an gewesen war. Er mußte mit ihm über das sprechen, worüber sie meistens sprachen, und wenn beide nicht wußten, was sie sprechen sollten, dann wiederholten sie Begebenheiten,

Weitere Kostenlose Bücher