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Der grosse Horizont

Der grosse Horizont

Titel: Der grosse Horizont Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerhard Roth
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Spaziergang zu machen und wartete in Wirklichkeit in einem Mietwagen vor dem Hotel, um ihn zu beobachten? War es nicht das beste, wenn auch Haid so schnell wie möglich das Hotel verließ? Denn zu Fuß würde es O’Maley schwerfallen, ihm ungesehen zu folgen. Haid ging die Treppe hinunter, trat in die grelle Sonne, überquerte die breite Fahrbahn und betrat, nachdem er sich umgedreht und festgestellt hatte, daß ihm niemand folgte, ein Casino. Die wenigen Schritte auf der hitzeflimmernden Straße hatten in ihm Erinnerungen an seine Jugend geweckt. Während er eilig die Fahrbahn überquert hatte und auf das Casino zugegangen war, für das ein riesiger silberner Damenschuh Reklame machte, während er die endlose Kette der aluminiumfarbenen Masten sah, die den Strip in der Nacht mit Neonleuchten bestrahlen würden, erinnerte er sich an die Unruhe und Unrast seiner Jugendjahre. Er hatte geglaubt zu ersticken, hatte die Stadt, in der er gelebt hatte, gehaßt und war von ihr zugleich deprimiert gewesen. Er hatte sich nicht vorstellen können, eines Tages immer wieder dieselben Treppen zu einem Büro hinaufzusteigen; er war am Morgen lange im Bett liegengeblieben, ohne Entschluß, ohne Kraft und ohne Gedanken an die Zukunft, Er hatte sich nur gewünscht, in den Süden zu ziehen, ohne zu wissen, was dort mit ihm geschehen würde. Er hätte am liebsten den ganzen Tag über geschlafen. Er hatte gewartet, ohne zu wissen worauf. Haid dachte daran, während er Frühstücks- und Dinner-Preise über den Casinos und die Namen von Motels, Unterhaltungskünstlern und Zigarettenmarken auf Reklameschildern las und während er unter dem gewaltigen, blauen Himmel die Straße überquert hatte. Als er in den großen Saal des Casinos trat, fühlte er dieselbe Angst, die er als Jugendlicher empfunden hatte, wenn er ein Tanzcafe betreten hatte. Ihm schien jetzt alles wie eine Kulisse für seine Unruhe: die goldroten, altmodischen Tapeten, der weiche Teppichboden, der unter den Füßen sanft nachgab, die Hunderte Spielautomaten, die nierenförmigen Roulette-Tische mit grünem Stoffüberzug und roten Holzrändern, mit schwarzen, gelben und weißen Croupiers dahinter, die Jetons und Karten auf den Tisch warfen, die Flut von Menschen, die von Automat zu Automat tappten und mit abwesenden Gesichtern spielten. Jeder Mensch schien dem anderen gleichgültig zu sein. Haid fühlte sich einsam und er glaubte, noch nie so viele einsame Menschen gesehen zu haben. Eine Frau mit Kopftuch und Haarwicklern stieß sich an ihm und ging weiter, ohne zu reagieren. In einem unbenutzten Roulett-Tisch lag ein umgekippter Pappbehälter mit ausrinnendem, schmelzendem Himbeereis. Ein junges Mädchen, mit großen, drahtgerahmten Augengläsern und armseliger Bluse, wechselte einen Berg Münzen beim CASHIER, der hinter einem messinggeschützten Schalter saß. Sie starrte auf das Geld und schenkte Haid keine Beachtung. Haid lehnte sich mit dem Rücken an die Wand und blickte sich um. Er hatte den Verdacht, daß O’Maley sich in der Nähe befand und ihm folgte. O’Maley konnte hinter einem der Spielautomaten stehen oder an der Bar, am Ende des Saales. Haid wollte ihm plötzlich nicht mehr davonlaufen, sondern ihm begegnen. Er wollte ihn fragen, was er vorhatte. Er würde ihn vor sich herschieben und zu Boden stoßen und das Casino verlassen. Er dachte an Marlowe und sah sich selbst langsam auf die Bar zugehen. Da er O’Maley nirgends entdecken konnte, setzte er sich auf einen Hocker und wartete. Er bildete sich ein, daß dies der beste Platz war, um auf O’Maley zu warten und ihn zur Rede zu stellen. Zur Rede stellen! Wie unsinnig ihm dieser Satz sofort vorkam. Zufällig fiel sein Blick auf einen Glaskasten, in dem große, getrocknete Wüstenblumen ausgestellt waren. Sein Verhalten war so von Zufällen abhängig wie seine Wahrnehmungen. Er hatte daran gedacht, O’Maley zur Rede zu stellen, den Glaskasten an der Wand gesehen und gleichzeitig daran gedacht, daß es unsinnig war, daran zu denken, O’Maley zur Rede zu stellen, und der Glaskasten mit den getrockneten Wüstenblumen schien ihm wie eine Illustration zu seinen Gedanken. Er aß kalten, süßen Salat, trank Bier und versuchte seine Unruhe zu vergessen. Aber was immer er auch sah, verstärkte seine Unruhe. In einem Gefrierkasten standen Gläser mit gelben und grünen Geleecremes und halbierten Grapefruits, unter Glasstürzen unwirklich aussehende Torten, die üppig mit Sahne verziert waren. Haid bezahlte, stand

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