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Der grosse Horizont

Der grosse Horizont

Titel: Der grosse Horizont Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerhard Roth
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auf dem Trottoir der 5 th Avenue nicht eine Erinnerung an den Tod? Er stand da: Starr, mit unbeweglichem Gesicht auf Krücken gestützt, ohne eine Bewegung und bettelte, ohne ein Wort zu sprechen.
    Haid fühlte sich seltsam bedroht. Es war keine penetrante Bedrohung, die er fühlte, es war nur ein Hauch, eine kleine Berührung, aber es war eine quälende Berührung. Er fürchtete sich davor, auch nur einen Blick in den Madison-Square-Park zu werfen, als würde ihn bereits ein Blick in größte Gefahr bringen. Und dennoch mußte er einfach stehenbleiben und über den schwarzen Eisenzaun in den Park spähen. Auf einer Bank kletterten halbwüchsige Neger herum, das Gras drang nur spärlich aus der schmutzigen Erde hervor, und die kahlen Bäume verstärkten den Eindruck von Traurigkeit und Verkommenheit. Ein Neger in einem schwarzen Taucheranzug, einen schwarzen Spazierstock in der Hand, ging auf Haid zu und blieb vor ihm stehen. Er war so nahe an Haid herangetreten, daß dieser das Sichverengen und Erweitern der Pupillen in seinen Augen beobachten konnte. »Das ist es«, dachte Haid, »den ganzen Tag war ich unruhig und hatte Angst vor irgend etwas und nun ist ES da.« Er fühlte sich nicht von dem Neger, der vor ihm stand, bedroht, sondern von etwas Vagerem, Unbestimmteren, und der Neger schien ihm diese Bedrohung zu verkörpern, so als handle es sich um nichts Physisches, sondern um etwas Irreales. Haid wagte nicht weiterzugehen, er wagte auch kein Wort zu sprechen oder zu lächeln, er fürchtete sich sogar vor seinem eigenen Atem, weil er dachte, er könne ihn verraten. Er wußte nicht, was der Atem von ihm verraten konnte, er hatte Angst und er vermochte sich gegen diese Angst nicht zur Wehr zu setzen. Er hatte auch nicht die Kraft, sie zu untersuchen. Haid sah die Poren in der Haut des Negers, die Falten unter seinen Augen, die feingeschwungenen Wimpern, den Ansatz der Zähne unter einem dunkelroten Stück Zahnfleisch. »Schau mich an«, befahl dieses Gesicht und Haid gehorchte. Er wußte nicht, wie lange er so dastand, ohne etwas zu tun. Das Gesicht hatte ihn in der Gewalt, und er war wehrlos. Plötzlich öffnete sich der wulstige Mund und sagte mit heiserer Stimme: »Hau ab.«
    Haid gehorchte. Die Scham würgte ihm die Luft im Kehlkopf ab, aber er drehte sich um und ging ohne den Versuch eines Protestes davon. Er war so gedemütigt, daß er zu keiner Empörung mehr fähig war. Er fühlte, wie der Schweiß auf seinem Körper erkaltete.
     
     
17
     
     
    Er hatte Angst davor, in Christines Haus zurückzukehren. Er wußte nicht, was ihn dort erwartete. Er faßte den Vorsatz, sich ein Hotelzimmer zu nehmen und in ein oder zwei Tagen auszuziehen.
    Nach einigem Suchen fand er ein Hotel am Washington Square. Er ließ sich ein Zimmer reservieren, dann nahm er ein Taxi und fuhr zurück nach Brooklyn. Die Bilder, die seine müden Augen aus dem dahinfahrenden Taxi auffingen, befremdeten ihn und ließen ihn das Taxi als enge Zelle empfinden. Die niedere, knallgelbe Häuserwand, auf die rote und weiße Buchstaben gemalt waren, der kleine Park, in dem sich Neger an einem offenen Feuer, das aus einer Blechtonne quoll, die Hände wärmten, die Brooklyn Bridge über dem East River, kleine Schiffe unter der Brücke, Negerkinder, die an einer Tankstelle mit einem Papierdrachen spielten … Ein rotgestrichenes Haus stand da, wie ein mächtiger Blutklumpen. Vor einem violetten Haus mit der Aufschrift SALE parkte ein schwarzer Chevrolet, an dessen Steuer ein Neger mit rotem Hut saß. Haid ließ das Taxi anhalten, bezahlte und nahm seinen Plan heraus. Er stand vor einer Fläche, auf der Gebrauchtwagen zum Verkauf ausgestellt waren. Ein handgemaltes Schild verkündete: CARWASH 95 ¢. Die Tür zu einem Holzschuppen ging auf und ein fetter Kerl kam heraus. »Suchen Sie was?« fragte der Fette. »Nein.«
    »Sie suchen aber was auf Ihrem Plan.«
    »Nein.«
    Der Fette nahm eine Zigarette heraus und zündete sie an. Er bog die Oberlippe auf, führte die Zigarette zum Mund, und Haid sah, daß er Goldplomben auf den Zähnen hatte. »Mir scheint, Sie suchen eine Straße.«
    »Ja«, antwortete Haid. Er nannte die Straße und der fette Kerl zeigte ihm den Weg auf dem Plan. Es stellte sich heraus, daß Haid ganz in der Nähe von Christines Haus abgesetzt worden war, und obwohl er auf eigenen Wunsch abgesetzt worden war, empfand er über die Auskunft Erleichterung. »Ich stamme aus Bremen«, sagte der fette Mann, während er Haids Plan sorgfältig

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