Der grosse Johnson_ Die Enzyklopadie der Weine, Weinbaugebiete
Lese findet vor Sonnenaufgang statt, um Lesehelfer und Trauben zu schützen. Volle, reintönige Rotweine.
Neuseeland
Neuseeland hat in den letzten Jahrzehnten eine erstaunliche Wandlung vollzogen. Nein, es war gar nicht so sehr eine Wandlung als vielmehr eine Erfindung. Und sie hat uns einige der lebendigsten Geschmacksnuancen beschert, die je aus einer Weinflasche kamen.
Während in Australien fast jeder Siedler Weinstöcke angepflanzt zu haben schien, waren die Neuseeländer viel weniger darauf bedacht, das gemäßigte Klima und den fruchtbaren Boden ihrer Inseln für den Rebbau zu nutzen. Deshalb gab es hier, außer in ein paar vereinzelten Missionen und Privatgütern, keinen ernst zu nehmenden Rebenanbau, bis dalmatinische Kautschukarbeiter und libanesische Einwanderer am Anfang des 20.Jahrhunderts in der Gegend von Auckland für ihren Eigenbedarf zu sorgen begannen. Ihre Erzeugnisse waren jedoch kaum mehr als primitiv und beruhten auf minderwertigen Traubensorten, die sich für die Wärme und Feuchtigkeit Aucklands nicht eigneten. Hinzu kam die Reblausplage, die es bald erforderlich machte, Hybridreben zu pflanzen. Zum größten Teil war der Wein gespritet und verdiente die abfälligen Namen, die man ihm gab, wahrscheinlich nur allzu sehr. Überdies bildete die kleine, angelsächsisch-puritanische Bevölkerung kaum einen geeigneten Absatzmarkt. So gab es beispielsweise neben anderen kleinlichen Einschränkungen bis 1961 ein gesetzliches Konsumverbot für Wein in Restaurants.
Gegen Ende der 1960er-Jahre stellte sich dann ziemlich rasch ein Wandel ein, als die Neuseeländer einerseits einen Exportmarkt in Australien und England zu wittern begannen, andererseits auch selbst Geschmack am Wein fanden. Noch 1960 lag fast die Hälfte der Gesamtrebfläche von 390 Hektar in Auckland, der größte Teil der anderen Hälfte um die Hawkes Bay an der Ostküste der Nordinsel. In den 1960ern verdreifachte sich dann die bestockte Fläche von Auckland, während rund 60 Kilometer weiter südlich die neue Weinregion Waikato erschlossen wurde. Die Weinbergfläche an der Hawkes Bay verdoppelte sich und an der Poverty Bay bei Gisborne, nördlich der Hawkes Bay, entstand ein bedeutender neuer Bereich.
Die Resultate waren ermutigend, obwohl den ersten Massenanpflanzungen durchaus kein übertriebener Ehrgeiz zugrunde gelegen hatte. Der Markt war in erster Linie an billigen, gespriteten Weinen interessiert, die durch das verbotene Beimischen von Wasser noch billiger wurden. Unter den Tafelweinen galt allgemein der Müller-Thurgau als das Höchste, was Neuseeland je mit Gewinn zu erzeugen imstande war. Bei den ersten Anpflanzungen war man der irrigen Auffassung gefolgt, das neuseeländische Klima sei dem deutschen ähnlicher als dem französischen. Experimente mit Sauvignon blanc und bald auch Chardonnay bewiesen jedoch in den 1970er-Jahren, dass sich das Klima an der Ostküste der Nordinsel, wo die wichtigste Obstanbauregion liegt, eher mit den Verhältnissen in Mittelfrankreich vergleichen lässt. Im anschließenden Aufschwung verfünffachte sich die dortige Rebfläche, während jene bei Auckland bereits zu schrumpfen begann. Die Rebe fand aber auch ihren Weg auf die Südinsel: Um 1980 verfügte Marlborough bereits über fast 800 Hektar Rebfläche, während Versuchspflanzungen südwärts bis nach Canterbury und Central Otago vorgedrungen waren.
Das wahre Potenzial Neuseelands als Quelle feiner Weine wurde der Welt aber erst gegen Mitte der 1980er-Jahre bewusst, genauer gesagt im Februar 1985, als die britische Weinelite zu einer Verkostung im New Zealand House in London geladen war. Keiner der Anwesenden wird je diesen besonderen Morgen vergessen, an dem sich herausstellte, dass ein Dutzend neuseeländischer Kellereien Weißweine von einer derart rassigen Lebendigkeit und strahlenden Frucht hervorgebracht hatte, wie man sie auf der Welt nur selten antrifft. Am denkwürdigsten waren die besten Sauvignon-blanc-Abfüllungen, die dieser eigentlich zweitrangigen Traubensorte eine neue, ganz besondere Dimension verliehen. Das Urteil war einmütig: Neuseeland hatte sich in die erste Liga der Weißwein produzierenden Länder aufgeschwungen.
Spätere Verkostungen konnten dies nur bestätigen. Mittlerweile waren aber auch überaus saubere Chardonnay, einige Rieslinge, Chenin blanc und Gewürztraminer in unbestreitbarer Spitzenqualität hinzugekommen sowie schließlich ein paar vielversprechende Rote. Deren anfängliche Mängel ließen sich
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