Der große Schlaf
ihre Ohrringe auf der Brust, und die andere Hälfte machten wir einträchtig wie zwei Ballettänzer unsere Spagate. Wir spazierten zu Geigers Leiche hin und wieder zurück. Ich wollte, daß sie ihn ansah. Sie fand ihn süß. Sie kicherte und wollte es mir sagen, aber sie blubberte nur. Ich spazierte mit ihr zum Diwan und legte sie lang. Sie hickste zweimal, kicherte ein bißchen und schlief ein. Ich stopfte ihre Sachen in meine Taschen und trat hinter das Totempfahl-Dingsda. Die Kamera war tatsächlich innen einmontiert, aber was fehlte, war die Plattenkassette. Ich sah mich auf dem Fußboden um, weil er sie ja herausgenommen haben konnte, bevor er erschossen wurde.
Keine Kassette. Ich ergriff seine schlaffe, eiskalte Hand und rollte ihn etwas herum. Keine Kassette. Das gefiel mir nicht.
Ich ging in die Diele hinter dem Raum und durchsuchte das Haus. Rechts waren ein Badezimmer und eine verschlossene Tür, eine Küche nach hinten. Das Küchenfenster war aufgebrochen.
Das Fliegengitter war weg, und im Rahmen sah ich die Stelle, wo der Haken herausgerissen worden war. Die Hintertür war unverschlossen. Ich ließ sie so und blickte in das Schlafzimmer auf der linken Dielenseite. Es war schick, niedlich, weibisch. Auf dem Bett lag eine Volantdecke. Auf dem Toilettentisch mit dreiteiligem Spiegel standen Flakons, daneben lagen ein Taschentuch, ein paar lose Münzen, Herrenhaarbürsten, ein Schlüsselbund. Im Wandschrank hing Männerkleidung, unter dem Rüschensaum der Bettdecke standen Männerpantoffeln. Mr. Geigers Zimmer. Ich nahm den Schlüsselbund mit in den Wohnraum und machte mich an den Schreibtisch. Im tiefen Schubfach war eine verschlossene Stahlkassette. Ich probierte einen der Schlüssel. Es war nichts weiter drin als ein blaues Lederbuch mit einem Index und viel Geheimschrift in den gleichen schrägen Druckbuchstaben wie im Brief an General Sternwood. Ich steckte das Notizbuch in die Tasche, wischte die Stahlkassette ab, wo ich sie berührt hatte, schloß den Schreibtisch zu, steckte die Schlüssel ein, stellte den Gasbrenner im Kamin ab, wickelte mich in meinen Mantel und versuchte, Miss Sternwood wachzurütteln. Nichts zu machen. Ich stülpte ihr den Wanderhut auf den Kopf und packte sie in ihren Mantel und trug sie hinaus zu ihrem Wagen.
Ich ging zurück und machte alle Lichter aus und die Haustür zu, kramte ihre Schlüssel aus ihrer Handtasche und startete den Packard. Ohne Licht fuhren wir den Berg hinunter. Es waren keine zehn Minuten bis Alta Brea Crescent zu fahren. Carmen verbrachte sie schnarchend und blies mir Äther ins Gesicht. Ich konnte ihren Kopf nicht von meiner Schulter kriegen.
Immerhin legte sie ihn mir nicht in den Schoß.
8
Aus dem bleigefaßten Fensterchen in der Seitentür des Sternwoodschen Hauses drang gedämpftes Licht. Ich stoppte den Packard vorm Portal und leerte meine Taschen auf den Sitz. Das Mädchen schnarchte in der Ecke, den Hut liederlich auf der Nase, die Hände schlaff in den Falten des Regenmantels. Ich stieg aus und klingelte. Langsam, wie aus weiter, öder Ferne, kamen Schritte. Die Tür öffnete sich, und der aufrechte, silberhaarige Butler blickte mich an. Das Licht der Halle verwandelte sein Haar in einen Heiligenschein.
Er sagte höflich »Guten Abend, Sir«, und blickte an mir vorbei auf den Packard. Seine Augen kamen zurück, um in meine zu sehen.
»Ist Mrs. Regan zu Hause?«
»Nein, Sir.«
»Der General schläft, hoffe ich?«
»Ja. Am Abend schläft er immer am besten.«
»Was ist mit Mrs. Regans Mädchen?«
»Mathilda? Sie ist da, Sir.«
»Holen Sie sie lieber herunter. Wir brauchen eine Frauenhand. Sehen Sie mal in den Wagen, dann wissen Sie, warum.«
Er sah in den Wagen. Er kam zurück. »Ich verstehe«, sagte er. »Ich hole Mathilda.«
»Mathilda wird ihr schon helfen«, sagte ich.
»Wir alle versuchen, ihr zu helfen«, sagte er.
»Darin haben Sie sicher schon Übung«, sagte ich. Dazu hatte er nichts zu sagen.
»Na, gute Nacht«, sagte ich. »Alles Weitere überlasse ich Ihnen.«
»Sehr wohl, Sir. Darf ich Ihnen eine Droschke rufen?«
»Entschieden nicht«, sagte ich. »Tatsächlich bin ich ja gar nicht hier. Das bilden Sie sich nur ein.«
Darauf lächelte er. Er verneigte sich leicht, und ich wandte mich um und ging die Auffahrt hinunter und zum Tor hinaus.
Zehn Blocks bergab, auf gewundenen, kurvigen, regennassen Straßen, unter stetig tropfenden Bäumen, vorbei an den erleuchteten Fenstern hoher Häuser auf gespenstisch weiten
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