Der große Schlaf
Flächen, schemenhaften Massen und Dächern und Giebeln und erleuchteten Fenstern hoch oben am Berg, fern und unerreichbar, gleich Hexenhäusern im Wald. Ich kam schließlich zu einer in Lichtverschwendung ergleißenden Tankstelle, in der ein gelangweilter Tankwart mit weißem Schiffchen und dunkelblauer Windjacke hinter beschlagenem Glas krumm auf einem Hocker saß und seine Zeitung las. Ich wollte schon hinein, dann ging ich weiter. Ich war schon so naß, nasser gingś nicht. Und in so einer Nacht wächst dirń Bart, bis ein Taxi kommt. Und Taxifahrer haben ein gutes Gedächtnis. Bei flotter Gangart schaffte ich es zurück zu Geigers Haus in etwas mehr als einer halben Stunde. Es war niemand zu sehen, kein Wagen auf der Straße außer meinem eigenen vor dem Nachbarhaus. Er wirkte so trostlos wie ein verlassener Hund. Ich fischte meine Flasche Roggen heraus und goß mir die Hälfte vom Rest durch die Gurgel und stieg ein, um mir eine Zigarette anzuzünden. Ich rauchte sie zur Hälfte, warf sie weg, stieg wieder aus und ging runter zu Geiger. Ich schloß die Tür auf und trat in die noch warme Dunkelheit und stand da, in aller Ruhe auf den Boden tröpfelnd und dem Regen lauschend. Ich tastete nach einer Lampe und knipste sie an. Als erstes fiel mir auf, daß ein paar Seidenstickereien von der Wand verschwunden waren. Ich hatte sie nicht gezählt, aber die leeren Flächen braunen Gipses stachen nackt und unübersehbar hervor. Ich ging ein Stückchen weiter und machte noch eine Lampe an. Ich sah auf den Totempfahl. Vor ihm, am Saum des chinesischen Teppichs, war auf dem bloßen Boden ein weiterer Teppich ausgelegt.
Vorhin war er noch nicht da. Dafür war vorhin Geigers Leiche da. Jetzt war Geigers Leiche weg. Ich war starr. Ich preßte die Lippen gegen die Zähne und schielte nach dem Glasauge im Totempfahl. Ich ging nochmals durch das Haus. Alles war genauso, wie es gewesen war. Geiger war weder in seinem Rüschenbett noch darunter noch in seinem Schrank. Er war nicht in der Küche und nicht im Bad. Blieb nur die verschlossene Tür rechts im Flur. Einer von Geigers Schlüsseln paßte ins Schloß. Das Zimmer dahinter war interessant, aber Geiger war nicht drin. Es war interessant, weil es so ganz anders war als Geigers Zimmer. Es war ein strenges, kahles Männerschlafzimmer mit Holzdielen, ein paar wollenen Brücken mit indianischem Muster, zwei harten Stühlen, einer Kommode aus dunkel gemasertem Holz mit
Herrentoilettengarnitur und zwei schwarzen Kerzen in Messingleuchtern. Das Bett war schmal und schien hart und hatte eine braune Batikdecke. Das Zimmer war kalt. Ich schloß wieder ab, rieb den Griff mit meinem Taschentuch und ging zurück zum Totempfahl. Ich kniete nieder und schielte quer über den Teppichflor zur Haustür. Ich meinte zwei parallel laufende Rillen in dieser Richtung zu sehen, so als ob Fersen darübergeschleift wären. Wer immer das auch getan hatte, sein Geschäft verstand er. Tote sind schwerer als einsame Herzen.
Das Gesetz warś nicht. Die wären immer noch da und eben erst richtig warm geworden mit ihrer Kreide und ihren Schnüren und Kameras und Pülverchen und Groschenzigarren.
Unübersehbar wären die da. Der Mörder warś auch nicht. Er war zu schnell verschwunden. Er mußte das Mädchen gesehen haben. Er konnte nicht ahnen, daß sie zu sehr hinüber war, um ihn zu sehen. Er konnte über alle Berge sein. Ich wurde nicht schlau draus, aber mir konnte es nur recht sein, wenn Geiger als verschwunden und nicht schlicht als ermordet gelten sollte.
So ließ sich unter Umständen wenigstens klären, ob ich reden konnte, ohne Carmen Sternwood hineinzuziehen. Ich schloß wieder ab, chokte meinen Wagen wach und fuhr heim zu Dusche, trockenen Kleidern und später Atzung. Danach saß ich in der Wohnung umher, trank zuviel heißen Toddy und versuchte, den Code in Geigers blauem Indexbüchlein zu knacken. Klar wurde mir dabei nur, daß es sich um eine Liste von Namen und Adressen, vermutlich von Kunden, handelte.
Es waren über vierhundert. Das ergab schon ein hübsches Einkommen, ganz abgesehen von den kleinen Erpressungen, an denen gewiß kein Mangel war. Jeder einzelne auf der Liste kam als Mörder in Frage. Die Polizei, die diesen Fall in die Hand bekam, tat mir jetzt schon leid. Voller Whisky und Enttäuschung ging ich ins Bett und träumte von einem Mann in blutiger Chinesenjacke, der ein nacktes Mädchen mit langen Jadeohrringen jagte, während ich hinter ihnen her rannte und sie mit leerer
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