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Der große Schlaf

Der große Schlaf

Titel: Der große Schlaf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Raymond Chandler
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Autostraße, die üblichen Leichenfledderer, Männchen wie Weibchen. Ohls zeigte dem Streifenbeamten seine Marke, und wir gingen hinaus auf den Pier und hinein in den starken Fischgestank, den auch die stürmische Regennacht nicht hatte wegspülen können.
    »Da ist er – auf dem Leichter dort«, sagte Ohls und deutete mit seinem Zigärrchen hin.
    Ein flacher, schwarzer Leichter mit einem Radkasten wie auf einem Schlepper drückte gegen das Pfahlwerk am Pierende.
    Etwas im morgendlichen Sonnenlicht Glitzerndes lag auf Deck, mit Hebeketten noch drumherum, ein großer, schwarzer Chromkreuzer. Der Hebearm war zurückgeschwenkt und ragte über Deck. Männer standen um den Wagen herum. Wir kletterten rutschige Stufen hinab an Bord.
    Ohls begrüßte den Sheriff in grünem Khaki und einen Mann in Zivil. Die drei Männer der Leichtercrew lehnten am Radkasten und kauten Tabak. Einer rieb sich das nasse Haar mit einem schmutzigen Badetuch. War wohl der Mann, der ins Wasser gestiegen war, um die Ketten dranzumachen. Wir sahen uns den Wagen an. Die vordere Stoßstange war verbogen, ein Scheinwerfer zertrümmert, der andere eingedrückt, aber das Glas noch ganz. Die Kühlerverkleidung hatte eine große Delle, und Lack und Nickel waren am ganzen Wagen zerkratzt. Die Polsterung war durchweicht und schwarz. Keiner der Reifen schien beschädigt.
    Der Fahrer klebte noch überm Lenkrad, sein Kopf war unnatürlich von den Schultern abgewinkelt. Es war ein schlanker, dunkelhaariger Junge, der noch vor einer Weile gut ausgesehen hatte. Jetzt war sein Gesicht bläulich-weiß, und seine Augen waren ein schwaches, trübes Schielen unter gesenkten Lidern, und sein offener Mund war voll Sand. Links auf seiner Stirn war ein dunkler Fleck, der gegen das Weiß der Haut abstach. Ohls trat zurück, machte ein Geräusch in seiner Gurgel und hielt ein Streichholz an sein Zigärrchen.
    »Was war los?«
    Der Mann in Uniform zeigte auf die Leute, die sich am Pierende den Hals verrenkten. Einer von ihnen befingerte gerade eine Stelle, an der eine breite Lücke zwischen die weißen Pflöcke gerissen war. Das gesplitterte Holz leuchtete gelb und rein wie eine frischgespaltene Kiefer.
    »Da ist er durch. Muß ziemlich gekracht haben. Der Regen hier draußen hat früh aufgehört, so gegen einundzwanzig Uhr.
    Das gesplitterte Holz ist innen ganz trocken. Es muß also nach dem Regen gewesen sein. Wasser war genug da, sonst wäre der Wagen vollends schrottreif. Also mindestens halbe Ebbe, denn sonst wäre er weiter abgetrieben, und höchstens halbe Flut, sonst hätte es ihn gegen die Pfeiler gedrückt. Das hieße: gegen zehn Uhr gestern abend. Vielleicht auch halb zehn, früher nicht. Als die Jungens heute morgen zum Fischen
    runterkommen, sehen sie ihn im Wasser, also schaffen wir den Leichter ran, um ihn rauszuhieven, und finden einen Toten.«
    Der Mann in Zivil scharrte mit seiner Schuhspitze auf den Brettern. Ohls sah mich von der Seite an und quetschte sein Zigärrchen wie eine Zigarette.
    »Betrunken?« fragte er, ohne daß klar war, wen er meinte.
    Der Mann, der sich den Kopf geschrubbt hatte, kam rüber zur Reling und gab ein so lautes Räuspern von sich, daß jeder ihn ansah. »Hab Sand geschluckt«, sagte er und spuckte aus.
    »Nicht soviel wie unser jugendlicher Liebhaber hier – aber genug.«
    Der uniformierte Mann sagte: »Betrunken - kann sein. So ganz allein im Regen rumzukurven – war ńe Schnapsidee.«
    »Von wegen betrunken«, sagte der in Zivil. »Die
    Handbremse ist fest angezogen, und über den Kopf hat er auch eins bekommen. Wenn Sie mich fragen, für mich ist das Mord.«
    Ohls sah auf den Mann mit dem Handtuch. »Was sagst du, Kumpel?«
    Der Mann mit dem Handtuch guckte geschmeichelt. Er grinste. »Ich sage Selbstmord, Chef. Mich gehtś zwar nichts an, aber wo Sie mich schon fragen, sage ich Selbstmord.
    Erstens mal hat der Knabe ńe schnurgerade Furche den Pier lang gepflügt. Seine Schleifspur ist fast die ganze Strecke lang klar auszumachen. Demnach warś nach dem Regen, wieś der Sheriff schon sagt. Dann rumst er hart und sauber übern Pier und macht ńe glatte Bauchlandung. Denn sonst hätte er sich doch ń paarmal überschlagen. Also hatte er genug Zahn, um gradwegs durch die Pfosten zu scheuern. Mit ńer angezogenen Handbremse geht das schlecht. Das kann passiert sein, wie sich im Fallen seine Hand verkrampft hat, und genauso das mit dem Kopf.«
    Ohls sagte: »Gute Augen haste, Kumpel. Habt ihr ihn gefilzt?« fragte er den

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