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Der große Schlaf

Der große Schlaf

Titel: Der große Schlaf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Raymond Chandler
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Kamera zu fotografieren versuchte.

9
    Der nächste Morgen war hell, klar und sonnig. Ich erwachte mit einem Scheuerlappen im Mund, trank zwei Tassen Kaffee und ging die Morgenzeitungen durch. Ich fand in keiner einen Hinweis auf Mr. Arthur Gwynn Geiger. Ich schüttelte die Beulen aus dem nassen Anzug, als das Telefon klingelte. Es war Bernie Ohls, der Chefinspektor des Distriktanwalts, dem ich General Sternwood zu verdanken hatte.
    »Na, wie gehtś unserem Jungen?« fing er an. Es klang nach einem Mann, der gut geschlafen und kaum Schulden hatte.
    »Mir brummt der Schädel«, sagte ich.
    »Ts, ts.« Er lachte zerstreut, und seine Stimme war auf einmal ein Häppchen zu gleichgültig, zu hintertriebenbullenhaft. »Schon bei General Sternwood gewesen?«
    »Hmhm.«
    »Was für ihn erledigt?«
    »Zuviel Regen«, antwortete ich, wenn das eine Antwort war.
    »Eine Familie, scheintś, der öfter was zustößt. Eben schaukelt ein großer Buick von ihnen in der Brandung vorm Fischpier von Lido.«
    Ich hielt den Hörer so fest, als wollte ich ihn zerquetschen.
    Ich hielt auch den Mund.
    »Tja«, sagte Ohls herzlich. »Eine nagelneue Buick-Limousine, die jetzt in Sand und Salzwasser vergammelt ...
    Ach, fast hätte ichś vergessen. Es sitzt einer drin.«
    Ich ließ so langsam die Luft raus, daß sie mir an den Lippen hängenblieb. »Regan?« fragte ich.
    »Was? Wer? Oh, Sie meinen den ehemaligen
    Schnapsschmuggler, den sich die Ältere geangelt und geheiratet hat. Ich habe ihn nicht zu Gesicht bekommen. Was hätte der denn da draußen zu suchen?«
    »Machen Sieś nicht so spannend. Was sollte er da draußen schon wollen?«
    »Keine Ahnung, Junge. Ich will gerade los und mal nachsehen. Wollen Sie mit?«
    »Ja.«
    »Dann mal los«, sagte er. »Ich bin in meinem Käfig.«
    Rasiert, angezogen und mit einem leichten Frühstück im Bauch war ich in einer knappen Stunde im Justizpalast. Ich fuhr zum sechsten Stock rauf und ging den Korridor hinunter zu der Reihe kleiner Büros, in denen die Leute des Bezirksanwalts saßen. Das von Ohls war nicht größer als die anderen, aber er hatte es ganz für sich allein. Auf seinem Schreibtisch war nichts weiter als ein Löscher, eine billige Schreibtischgarnitur, sein Hut und ein Fuß von ihm. Er war ein mittelgroßer, blonder Mann mit buschigen, weißen Augenbrauen, ruhigen Augen und gepflegten Zähnen. Er sah aus wie ein ganz gewöhnlicher Mann von der Straße. Zufällig wußte ich, daß er neun Mann umgelegt hatte – darunter drei, die ihn todsicher vor der Kimme hatten oder sich das zumindest einbildeten.
    Er stand auf und verstaute eine flache Blechschachtel mit Miniatur-Zigarren, die ›Intermezzo‹ hießen, ließ eine in seinem Mund auf und nieder wippen und sah mich mit zurückgeworfenem Kopf über die Nasenspitze weg prüfend an.
    »Es ist nicht Regan«, sagte er. »Ich hab nachgeforscht.
    Regan ist ein großer Kerl, so groß wie Sie und noch etwas schwerer. Das hier ist ein Jüngelchen.«
    Ich sagte nichts.
    »Warum ist Regan getürmt?« fragte Ohls. »Das möchten Sie doch wissen?«
    »Keine Spur«, sagte ich.
    »Wenn so ein Bruder aus der Schnapsbranche in eine reiche Familie heiratet und dann seine schöne Dame samt ihren koscheren Millionen sitzenläßt, dann fange sogar ich an, nachdenklich zu werden. Oder meinen Sie, das sei ein Geheimnis?«
    »Hmhm.«
    »Na schön, behältś für dich, Junge. Schwamm drüber.« Er kam hinter dem Schreibtisch vor, befühlte seine Taschen und langte nach seinem Hut.
    »Ich bin nicht hinter Regan her«, sagte ich.
    Er sicherte das Schloß an seiner Tür, und wir gingen hinunter zum Behördenparkplatz und stiegen in eine kleine blaue Limousine. Wir fuhren den Sunset Boulevard hinaus und ließen ab und zu die Sirene heulen, wenn ein Rotlicht im Wege war. Es war ein frischer Morgen und eben genug Pep in der Luft, daß einem das Leben einfach und süß vorkommen konnte, wenn man nicht zuviel um die Ohren hatte. Das hatte ich aber. Auf der Küstenstraße waren es dreißig Meilen bis Lido, die ersten zehn davon durch dichten Verkehr. Zum Schluß schlidderten wir vor einem Stuckbogen in den Sand, und ich holte meine Füße aus der Karosserie, und wir stiegen aus. Ein langer Pier, von weißen Pflöcken gesäumt, erstreckte sich vom Torbogen ins Meer. Draußen, ganz am Ende, war eine Menschenansammlung, und ein Beamter von der Motorradstreife stand unter dem Bogen und verwehrte noch mehr Leuten den Zugang zum Pier. Wagen parkten an beiden Seiten der

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