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Der große Schlaf

Der große Schlaf

Titel: Der große Schlaf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Raymond Chandler
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Darüber, offen, ein irischer Tweedmantel mit etlichen abgewetzten Stellen. Über den Aufschlägen quoll regennaß eine Masse Seidenschlips heraus.
    »Vielleicht kennen Sie mich«, sagte er. »Ich bin Harry Jones.«
    Ich sagte, daß ich ihn nicht kannte. Ich schob ihm eine flache Blechschachtel mit Zigaretten hin. Er schnappte mit seinen kleinen, sauberen Fingern nach einer wie eine Forelle nach der Fliege. Er zündete sie mit dem Schreibtischfeuerzeug an und schwenkte seine Hand.
    »Ich kenn mich aus«, sagte er. »Kenne die Jungs und so. Hab mal ein bißchen Schnaps gefahren von Hueneme Point herauf.
    Ein böser Job, Bruder. Wenn man vorneweg fahren muß mit ńer Kanone auf den Knien und soviel Kies in der Tasche, daß man damit `nen ganzen Bergwerksschacht hätte zuschütten können. Oft mußten wir viermal die Bullen auszahlen, bevor wir in Beverly Hills waren. Ein böser Job.«
    »Schrecklich«, sagte ich.
    Er lehnte sich zurück und blies aus dem kleinen, verkniffenen Winkel seines kleinen, verkniffenen Mundes Rauch zur Decke hinauf.
    »Vielleicht glauben Sie mir nicht«, sagte er.
    »Vielleicht«, sagte ich. »Vielleicht auch nicht. Vielleicht habe ich mir auch noch nicht den Kopf darüber zerbrochen.
    Was wollen Sie mit Ihrer Geschichte eigentlich bezwecken?«
    »Nichts«, sagte er sauer.
    »Seit ein paar Tagen sind Sie hinter mir her«, sagte ich.
    »Wie einer, der ńe Kleine abschleppen will und dann im letzten Moment immer wieder Bammel kriegt. Vielleicht verkaufen Sie Versicherungen. Vielleicht kennen Sie auch einen gewissen Joe Brody. Das sind ńe Masse Vielleichts, aber in meinem Beruf hat man eben mit ńer Masse zu tun.«
    Er machte Stielaugen, und seine Unterlippe fiel ihm fast in den Schoß. »Himmel, woher wissen Sie das?« sagte er.
    »Ich bin ein Medium. Und jetzt geben Sie Ihrem Herzen ńen Stoß und schütten Sieś aus. Ich hab nicht den ganzen Tag Zeit.«
    Der Glanz seiner Augen verschwand fast zwischen den plötzlich verengten Lidern. Es herrschte Schweigen. Der Regen prasselte nieder auf das flache, geteerte Dach über der Halle von Mansion House unter meinen Fenstern. Seine Augen öffneten sich etwas, sie glänzten wieder, und seine Stimme klang nachdenklich.
    »Ich hab versucht, Sie im Auge zu behalten, klar«, sagte er.
    »Ich habe was zu verkaufen – billig, für zwei Hunderter. Wie haben Sie mich mit Joe in Verbindung gebracht?« Ich öffnete einen Brief und las ihn. Er offerierte mir einen sechsmonatigen Fernkurs im Fingerabdrucknehmen mit Berufsrabatt.
    Ich ließ ihn in den Papierkorb fallen und sah den kleinen Mann wieder an. »Machen Sie sich keine Sorgen. Ich habe bloß geraten. Sie sind kein Bulle. Sie gehören nicht zur Mannschaft von Eddie Mars. Ich habe ihn gestern abend danach gefragt. Außer Joe Brodys Freunden könnte ich mir keinen denken, der sich so stark für mich interessieren würde.«
    »Himmel«, sagte er und leckte sich die Unterlippe. Sein Gesicht war weiß wie Papier geworden, als ich Eddie Mars erwähnte. Sein Mund ging auf, und seine Zigarette blieb wie durch Zauber im Winkel hängen, als ob sie dort angewachsen wäre. »Och, Sie wollen mich auf den Arm nehmen«, sagte er schließlich mit dem gewissen Lächeln, wie manś in den Operationssälen sieht.
    »In Ordnung. Ich nehme Sie auf den Arm.« Ich öffnete noch einen Brief. Dieser hier wollte mir einen täglichen Informationsdienst aus Washington verkaufen, lauter Inside-Material, direkt aus der Küche. »Ich nehme an, Agnes ist auf freiem Fuß«, fügte ich hinzu.
    »Jawoll. Sie schickt mich. Ha´m Sie Interesse?«
    »Na ja, so eine Blondine ...«
    »Quatsch. Sie haben eine Andeutung gemacht, als Sie neulich nachts oben waren – in der Nacht, als Joe abgeknallt wurde. Von wegen Brody müßte ganz schön was von den Sternwoods gewußt haben, daß erś wagte, ihnen das Bild zu schicken.«
    »Hmhm. Hat er? Was warś?«
    »Dafür sollen die zweihundert Mäuse gezahlt werden.« Ich ließ weitere Verehrerpost in den Korb fallen und steckte mir eine frische Zigarette an.
    »Wir müssen aus der Stadt raus«, sagte er. »Agnes ist ein nettes Mädchen. Sie können ihr das nicht anhängen. Eine Dame hatś nicht leicht heutzutage.«
    »Sie ist zu groß für Sie«, sagte ich. »Sie zerquetscht Sie ja, wenn sie sich auf Sie legt.«
    »Das istń dreckiger Witz, Bruder«, sagte er mit einem Etwas, das genug nach Würde klang, um mich zum Staunen zu bringen.
    Ich sagte: »Sie haben recht. Ich bin in letzter Zeit viel in

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