Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der große Schlaf

Der große Schlaf

Titel: Der große Schlaf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Raymond Chandler
Vom Netzwerk:
Kristallperlen. Ich stand auf mit flauem Gefühl und müde und stellte mich ans Fenster und sah hinaus, noch immer den ungewissen, unangenehmen Nachgeschmack der Sternwoods im Mund. Ich war so leer wie die Taschen einer Vogelscheuche. Ich ging zur Küche hinaus und trank zwei Tassen schwarzen Kaffee. Man kann auch von anderem als Alkohol das heulende Elend kriegen. Ich hatte es von den Frauen. Sie machten mich krank. Ich rasierte mich und duschte und zog mich an und holte meinen Regenmantel heraus und ging nach unten und sah zur Haustür hinaus. Auf der anderen Seite der Straße, hundert Fuß weiter oben, war eine graue Plymouth-Limousine geparkt. Es war dieselbe, die mir tags zuvor nachzufahren versucht hatte, dieselbe, nach der ich Eddie Mars gefragt hatte. Es konnte ein Bulle drin sitzen, wenn ein Bulle so viel Zeit zur Verfügung hatte und sie an meine Verfolgung verschwenden wollte. Es konnte auch ein Schlaumeier aus der Detektivbranche sein, der seine Nase in einen fremden Fall steckte, um zu schnüffeln, ob da nicht was zu holen sei. Oder es war der Bischof von Bermuda, dem mein Nachtleben mißfiel.
    Ich ging hinten hinaus und holte mein Kabrio aus der Garage und fuhr ums Haus nach vorn am grauen Plymouth vorbei. Ein kleiner Mann saß drin, allein. Er fuhr mir sofort nach. Im Regen arbeitete er besser. Er blieb dicht genug hinter mir, so daß ich keinen kurzen Block schaffen und verschwinden konnte, bevor er ihn erreicht hatte, und er blieb weit genug zurück, so daß meist andere Wagen zwischen uns waren. Ich fuhr hinunter zum Boulevard und parkte auf dem Parkplatz neben meinem Bürohaus und trat heraus, den Kragen meines Regenmantels hochgeschlagen, die Krempe meines Hutes heruntergezogen, dazwischen eisige Regentropfen im Gesicht.
    Der Plymouth stand auf der anderen Seite neben einem Hydranten. Ich ging hinunter zur Kreuzung und überquerte sie bei Grün und kam zurück, dicht am Bordstein und neben dem geparkten Wagen. Der Plymouth hatte sich nicht bewegt.
    Niemand war ausgestiegen. Ich erreichte ihn und riß die Tür an der Seite zum Bürgersteig auf. Ein kleiner, helläugiger Mann saß hinter dem Lenkrad geduckt in der Ecke. Ich stand und blickte zu ihm herein, während der Regen mir auf den Rücken klatschte. Seine Augen blinzelten hinter dem wirbelnden Rauch einer Zigarette. Seine Hände klopften ruhelos auf das dünne Lenkrad.
    Ich sagte: »Sie wissen wohl nicht, was Sie wollen?« Er schluckte, und die Zigarette schuckelte zwischen seinen Lippen.
    »Ich glaube nicht, daß ich Sie kenne«, sagte er mit einem kurzatmigen Stimmchen.
    »Marloweś mein Name. Der, dem Sie seit etlichen Tagen zu folgen versuchen.«
    »Ich folge niemandem, Mister.«
    »Ihre Mühle tutś aber. Vielleicht haben Sie sie nicht unter Kontrolle. Aber wie Sie wollen. Ich geh jetzt frühstücken in die Snackbar gegenüber, Orangensaft, Eier mit Speck, Toast, Honig, drei oder vier Tassen Kaffee und einen Zahnstocher. Ich gehe dann hinauf in mein Büro, das sich im sechsten Stock des Gebäudes direkt vor Ihnen befindet. Falls Sie irgendwas auf dem Herzen haben, das Sie über alle Maßen bedrückt, dann kommen Sie doch rauf und kauen Sieś mir vor. Ich öle inzwischen mein Maschinengewehr.«
    Ich ließ ihn blinzeln und ging weg. Zwanzig Minuten später lüftete ich das Soiree dÁmour der Scheuerfrau aus meinem Büro und öffnete einen dicken, rauhen Umschlag, der mit einer feinen, altmodischen, spitzen Handschrift adressiert war. Der Umschlag enthielt eine kurze, förmliche Notiz und einen großen violetten Scheck auf fünfhundert Dollar, zahlbar an Philip Marlowe, gezeichnet Guy de Brisay Sternwood, durch Vincent Norris. Damit war der Morgen gerettet. Ich schrieb gerade einen Giroabschnitt aus, als mir der Summer kundtat, daß soeben jemand mein Empfangskabäuschen betreten hatte.
    Es war der kleine Mann aus dem Plymouth.
    »Fein«, sagte ich. »Kommen Sie rein und mausern Sie sich.«
    Er glitt, während ich die Tür aufhielt, vorsichtig an mir vorbei, so vorsichtig, als ob er Angst hätte, ich würde ihm einen Tritt in seinen kleinen Hintern versetzen. Wir setzten uns und sahen uns über den Schreibtisch hinweg an. Er war ein sehr kleiner Mann, nicht größer als eins sechzig, und er wog kaum mehr als ein Schlachterdaumen. Er hatte starre, glänzende Augen, die hart aussehen wollten und so hart aussahen wie Austern auf halber Schale. Er trug einen dunkelgrauen Zweireiher, der zu weit in den Schultern war und zuviel Aufschlag hatte.

Weitere Kostenlose Bücher