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Der große Schlaf

Der große Schlaf

Titel: Der große Schlaf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Raymond Chandler
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Große. Es war etwas an ihm, das mir gefiel. »Ich drehe hier keine krummen Dinger«, sagte er selbstsicher. »Ich bin hier, um über zwei Hunderter zu sprechen. Das ist noch immer der Preis. Ich bin hier, weil ich dachte, ich würde ein klares Ja oder Nein bekommen, entweder – oder. Und jetzt kommen Sie mir mit den Bullen. Sie sollten sich was schämen.«
    Ich sagte: »Sie sollen die zweihundert haben – für diese Information. Ich muß das Geld erst ranschaffen.«
    Er stand auf und nickte und zog sich seinen abgetragenen kleinen irischen Tweedmantel fest um die Brust. »Geht in Ordnung. Im Dunkeln istś sowieso besser. Typen wie Eddie Mars in die Pfanne zu hauen, das ist ńe mulmige Sache. Aber der Mensch muß essen. Mit der Buchmacherei gehtś zur Zeit ziemlich flau. Ich glaube, die großen Fische haben Puss Walgreen gesagt zu verduften. Wie wärś, wenn Sie rüber ins Büro kämen, Fulwider-Haus, Western und Santa Monica Nummer vierachtundzwanzig, hinten? Ich bring Sie zu Agnes.«
    »Können Sieś mir nicht selbst sagen? Ich kenne Agnes.«
    »Ich habś ihr versprochen«, sagte er einfach. Er knöpfte seinen Mantel zu, schob sich den Hut schief auf den Kopf, nickte nochmals und schlenderte zur Tür. Er ging hinaus. Seine Schritte verklangen im Flur.
    Ich ging hinunter zur Bank und gab meinen Fünfhundert-Dollar-Scheck zum Einzug und ließ mir zweihundert auszahlen. Ich ging wieder hinauf und saß in meinem Sessel und dachte an Harry Jones und seine Geschichte. Sie schien mir ein bißchen zu glatt. Sie hatte eher die strenge Einfachheit von Dichtung als das wirre Gestrüpp von Wahrheit. Captain Gregory hätte durchaus in der Lage sein müssen, Mona Mars zu finden, wenn sie ihm so dicht vor der Nase war.
    Vorausgesetzt natürlich, er hätte es versucht.
    Ich dachte fast den ganzen Tag darüber nach. Niemand kam ins Büro. Niemand rief mich an. Es regnete noch immer.

26
    Um sieben hatte der Regen eine Atempause eingelegt, aber die Gossen waren noch überflutet. Auf der Santa Monica stand das Wasser bis zum Bürgersteig, und eine dünne Schicht schwemmte über den Bordstein. Ein Verkehrspolizist in glänzendem, schwarzem Gummi von den Stiefeln bis zur Mütze kam unter dem Schutz eines aufgeweichten Zeltdachs hervor und schwappte durch die Flut. Meine Gummiabsätze glitten auf dem Pflaster aus, als ich in die schmale Halle des Fulwider-Hauses trat. Ganz hinten brannte eine einzelne Hängelampe, dahinter war ein offener, einst vergoldeter Aufzug. Auf einer angeknabberten Gummimatte stand ein fleckiger, gern verfehlter Spucknapf. Wie ein falsches Gebiß guckten aus einem Kasten an der mostrichfarbenen Wand die Sicherungen heraus. Ich schüttelte den Regen von meinem Hut und sah mir neben den falschen Zähnen den Gebäude-Wegweiser an.
    Nummern mit Namen und Nummern ohne Namen. Viele leere Räume oder viele Mieter, die anonym bleiben wollten.
    Schmerzlose Zahnbehandlung, obskure Detektivagenturen, kleine, kranke Firmen, die zum Sterben hierhergekrochen waren, Fernschulen, die lehrten, wie man Eisenbahner oder Radiotechniker oder Drehbuchautor wird – wenn ihnen die Postinspektoren nicht zuvor schon das Handwerk legten. Ein ekelhaftes Haus. Ein Haus, in dem der Mief alter Zigarrenstummel noch der lieblichste Geruch war.
    Im Aufzug döste ein alter Mann auf einem wackligen Schemel, ein aufgeplatztes Kissen unter sich. Sein Mund stand offen, seine geäderten Schläfen glänzten im schwachen Licht.
    Er trug eine blaue Uniformjacke, die ihm paßte wie die Box dem Pferd. Darunter graue Hosen mit ausgefransten Aufschlägen, weiße Baumwollsocken und schwarze
    Chevreauschuhe, von denen einer über einem entzündeten Fußballen aufgeschlitzt war. Er schlief erbärmlich auf seinem Schemel und wartete auf einen Kunden. Ich ging, verführt durch die gespenstische Atmosphäre des Gebäudes, sachte an ihm vorbei, fand die Tür des Notausgangs und machte sie auf.
    Die Feuertreppe war seit einem Monat nicht gefegt worden.
    Penner hatten auf ihr geschlafen, auf ihr gegessen, hatten Krusten und fettige Zeitungsfetzen, Streichhölzer, ein zerfleddertes Taschenbuch aus imitiertem Leder zurückgelassen. Ein ausgebeutelter, heller Gummiring war in eine schattige Ecke der bekritzelten Wand gefallen und dort liegengeblieben. Ein sehr nettes Haus.
    Ich kam beim dritten Stock heraus und schnappte nach Luft.
    Die Halle verfügte über den gleichen dreckigen Spucknapf und die gleiche ausgefranste Matte, die gleichen Mostrichwände, die gleichen

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