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Der große Stier

Der große Stier

Titel: Der große Stier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robin Sanborn
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gekleideter Mann aufgetaucht sei, der möglicherweise die tanzenden Teenager angeregt hätte, mit ihren wilden Gesängen zu beginnen.
    Doch ein größeres Rätsel bleibt ungelöst. Denn in wenigen Minuten war die Prozession verschwunden, und als die Polizisten sich von ihrer äußersten Verwirrung erholt hatten, fanden sie keine Spur fackeltragender Kinder, nackter Frauen oder des geheimnisvollen weißgekleideten Mannes.
    Übriggeblieben waren nur ein Teppich von weißen Blütenblättern und kleine Gruppen von Teenagern, die vergnügt den Strip entlang tanzten, wobei sie noch immer das eine Wort sangen: ›Stier!‹«
    Als dieser Artikel in der Sonntagvormittags-Ausgabe von San Franciscos ›Chronicle‹ erschien, war ihm ein drahtlich übermitteltes Foto beigefügt; es zeigte einen Polizeileutnant aus Los Angeles mit Tränen in den Augen, um dessen Helm eine weiße Blumengirlande geschlungen war.
    Paul schnitt den Artikel sorgfältig mit einer Rasierklinge aus der Zeitung aus.
    »He«, sagte Beebee, »du schneidest doch nicht etwa ein Stück von den Witzen aus, wie?«
    »Nein, die Witzseite kriegst du.« Er legte den Zeitungsausschnitt neben die Schreibmaschine auf seinen Schreibtisch. »Es ist wieder eine Sache mit Stier.«
    »Stier, Liebling.« Beebee saß auf der Bettkante und breitete die Zeitungsblätter zu ihren Füßen aus. »Sie haben hier eine Annonce von ihm drin.«
    »Wo drin?«
    »In der Anzeigenspalte. Die Anzeigenspalte lese ich immer.« Sie befeuchtete einen ihrer winzigen Finger und durchblätterte flüchtig die aufgeteilten Seiten. »Hier ist sie …«
    »Lies sie mir mal vor.«
    »›Stiergesellschaft‹, heißt es da, ›Gruppenbildung in San Francisco. Bewerber müssen mindestens einen Universitätsgrad haben, Begabung für Logik, Geschick zum Schreiben, Kenntnis es-esso-e-s-o-t-e-r-i-scher Schriften, Bereitschaft zum Verzicht auf die Staatsbürgerschaft der Vereinigten Staaten. Vier dreiundzwanzig Dexter Street, Sonntag achtzehn Uhr.‹ Das ist heute.«
    »Seltsam. Wir werden hingehen und uns das mal genauer ansehen.«
    »Ach nein, ich nicht …«
    »Warum nicht? Du hörst gern Stiermusik …«
    »Ja, sicher. Aber ich geh nicht gern wohin, wo sie über Logik und solche Sachen reden.«
    Paul ging zum Bett hinüber und legte ihr die Hände auf die Schultern. »Was hast du denn gegen Logik?«
    »Na, das heißt doch, daß man angestrengt über alles mögliche nachdenken muß«, sagte sie und runzelte die Nase, »und das tu ich nicht gern. Was bedeutet es-oh-teer-ick?«
    »Es bedeutet … na, es ist wie eine Geheiminformation. Metaphysisches Zeug, Sachen, die nicht durch empirische Beweise festzustellen sind, Empfindungen von Dingen, die man nicht sehen oder berühren kann.«
    »Ooch Junge! Weißt du, wie ich das finde? Es ist langweilig.«
    »Hast du nie solche Empfindungen?«
    »Warum auch?« Sie zwinkerte und legte beide Hän de zwischen seine Beine. »Ich habe lieber etwas, das ich fühlen kann.«
    »Laß das sein …« Paul trat zurück, ließ aber seine Hände auf ihren Schultern liegen.
    »Komm, ich mach deinen Reißverschluß auf!«
    »Beebee, nicht jetzt, nicht wenn wir grade –«
    »O. K., zum Donnerwetter! Dann also nicht!« Sie ließ die Hände herunterfallen, als wären sie gestochen worden, und drehte das Gesicht zur Wand hin. »Du bist am Freitagabend nicht hier gewesen, du bist am Samstag erst nachmittags wiedergekommen, und gestern abend hast du nichts anderes gemacht, als dies verrückte Zeug über Logik zu schreiben.«
    »Um Himmels willen, kleines Mädchen!« Paul übte Vergeltung aus, indem er seine Hände von ihren Schultern nahm und sie in seine Hosentaschen zwängte. »Ist dir eigentlich schon mal eingefallen, daß wir imstande sein könnten, etwas mehr zu tun als zusammen ins Bett zu gehen?«
    »Zum Beispiel denken?«
    »Zum Beispiel denken!« Er hatte sie nicht anbrüllen wollen, und ihm brannten die Ohren davon. »Du kannst an jeder passenden Straßenecke, wo du willst, jemanden finden, der mit dir ins Bett geht, warum lungerst du dann bei mir herum? Soll ich etwa um Verzeihung bitten, daß ich einen Verstand habe?«
    Beebee sprang vom Bett auf und stellte sich steif hin. »O.K., Anzeigenblatt, ich werde mir jetzt eine von diesen passenden Straßenecken suchen!«
    »Was für eine geistreiche Antwort!«
    »Und wenn du das nächste Mal Gelüste kriegst«, sagte sie und riß die Tür auf, »dann kannst du’s in ein Buch über Logik stecken!« Sie knallte die Tür hinter sich

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