Der große Stier
Hirsch stand. Ein Un-Ziel, wie die Buddhisten sagen würden.
Wir zielen also auf nichts.
Auf gar nichts?
So begann die Erläuterung von Iliyu.
Am Montagmorgen, gerade vor der Frühstückspause, blieb Miss Cook bei dem Wasserkühler vor Pauls Büro stehen. Ihr Spiegelbild versicherte ihr, daß ihr Lippens tift-Rouge noch feucht war, ihre Augenbrauen gleichmäßig nachgezogen, ihr Haar präzise an beiden Seiten ihres Kopfes festgesteckt. Sie hatte die HUMANUR-Akte fest an ihre Brust gedrückt, öffnete die Tür, ohne anzuklopfen, sah Paul und stieß einen Schrei aus.
»Sie haben eine höllische Art, guten Morgen zu sagen, Miss Cook.« Paul trat von dem Haufen Bücher und Papiere auf seinem Schreibtisch zurück. Er trug ein zerrissenes schwarzes Flanellhemd, Khakihosen und braune Schuhe, die an den Absätzen aufgerissen waren. Er war unrasiert, und sein ungekämmtes Haar ringelte sich fast bis auf die Nase herunter. »Mache eben einen kleinen Hausputz«, sagte er lächelnd, »und all dies Zeug wollte ich zu den Hauptakten zurückgeben.«
»Was –«
»Sie sehen heute morgen fabelhaft aus, Miss Cook.«
»Lassen Sie sich bloß nirgends so sehen!« Sie blick te wild im Büro herum, gerade so, als ob sie einen Feuerlöscher suchte.
»Ist Ned Collier schon da? Und der alte Scuffy Gerner?«
»Was machen Sie da? Was ist passiert?«
»Ganz einfach. Da ich die Verbindung mit Wittgenstein verpaßt habe, bin ich in einen Bus gesprungen und dann durch Schall vergast worden, aber nicht wirklich vergast, und hatte eine lange Unterredung mit einer Indianerin über empfindliche Stellen auf dem Kopf und Apachen-Rauschgifthändler, auch über Irokesen und Seminolen, glaube ich, und über den ersten Akt von Iliyu und solche Sachen; also mußte ich heute morgen hierher kommen, um alles zum Abschluß zu bringen, ehe ich Mrs. Chen besuchen gehe.«
»Sie gehen hier weg?« Ihr Lippenstift war trocken.
»In Kürze.« Er setzte sich in seinen Stuhl, lehnte sich nach hinten und legte seine Füße über Kreuz auf den Schreibtisch. »Rufen Sie Gerner und Collier über die Telefonzentrale an, würden Sie das bitte tun? Nein, besser noch, sprechen Sie’s in die Ruf anläge, ich möchte es auch hören. Sagen Sie: ›Mr. Odeons Büro, in genau drei Minuten‹. Und vergessen Sie nicht, ge nau zu sagen.«
»Das ist doch nicht Ihr Ernst!«
»Doch, Miss Cook, ist es. Gehen Sie also. Sonst werde ich meine Selbstbeherrschung verlieren, Sie packen und direkt hier auf meinem Schreibtisch schachmatt setzen!«
Sie ging.
Paul schlug die Arme übereinander und wartete, bis er ihre Stimme durch den Lautsprecher hörte. Es würde lustig sein, zuletzt diese Szene zu veranstalten, gescheite Dinge genau im richtigen Augenblick zu sagen, dreißig Gramm Fleisch von all den Pfunden auf einmal wieder herauszuziehen, die er durch seine Schreibmaschine gepreßt hatte. Lustig, aber nicht praktisch. Er hatte Stier noch immer nicht kennengelernt; tatsächlich, er wußte nicht einmal genau, wo Stier überhaupt war. Magdelaine hatte etwas von Los Angeles gemurmelt und dann wieder etwas von Kanada. Und dann diese Geschichte, daß er sich heute nachmittag in Chinatown mit Mrs. Chen treffen sollte.
»Du Judaspriester!« Ned Collier kam keuchend angelaufen. »Du bist ja wohl wahnsinnig!«
»Ned, du bist mir lieb, denn kein anderer als nur du konnte Judaspriester sagen.«
»Du bist ja wohl wahnsinnig«, sagte er noch einmal, als Gerner im Türeingang erschien. Gerners Gesicht glühte unter seinem grünen Zelluloidschirm, er stand da und pendelte steif vor und zurück, als ob seine beiden Beine geschient wären.
»Ich nehme an, daß Sie alle neugierig sind, weshalb ich Sie heute morgen hier zusammengerufen habe«, sagte Paul, grinste und steckte sich eine Zigarette an.
»Du meine Güte, Paul!« sagte Collier.
»Mir ist es verdammt egal weshalb!« platzte Gerner heraus.
Paul löschte mit einer schüttelnden Bewegung das Streichholz aus und ließ es auf den Fußboden fallen. »Ich habe etwas anzukündigen!«
»Ich auch«, sagte Gerner. »Sie sind entlassen!«
»Ich bin als Werbungsmanager für Stier angestellt worden.«
Collier und Gerner sahen sich mit großen Augen an.
»Oder, um es deutlich zu sagen, für die Reportage, die den halben Etat dieser Agentur darstellt.«
Paul schnippte die Asche auf seinen Schreibtisch. »Vielleicht auch neunzig Prozent.«
»Stier hat dich angestellt?« Collier ließ seine Brillenbügel über die Ohren nach vorn
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