Der große Stier
gleiten.
»Und zwar schon gestern abend.«
»Na«, sagte Gerner und fingerte an seinem Mund herum, daß er sich in eine Falte legte, »das ist, ehem, schön, das ist verdammt gut!«
»Ich habe viele andere Verpflichtungen, darum muß ich sichergehen, daß ich mir eine Werbe-Agentur aussuche, der ich trauen kann.« Paul schwang seine Beine vom Schreibtisch herunter und lehnte sich nach vorn. »Eine, die wahr klingt.«
»Verdammt richtig«, sagte Gerner, und ein schwaches Lächeln erstarrte auf seinem Gesicht.
»Der Kostenvoranschlag nur für Stierplatten beläuft sich auf etwa zwei Millionen. Vielleicht ist das mehr, als wir – ich meine, als Sie – zu handhaben gerüstet sind. Dafür werden weniger Plaketten nötig sein, weniger Slogans, aber sehr viel mehr schöpferische Fähigkeiten.«
»Ja sicher, Paul, sicherlich!« sagte Collier. »Du weißt, daß wir Teamarbeit leisten …«
»Ich dachte, Jerry Miller könnte die Kalkulation leiten.«
»Miller?« Gerner stach mit seinem Daumennagel durch den Zelluloidschirm. »Miller. Ja. Prima Kerl. Verdammt prima Kerl.«
»Dann ist das also geklärt.« Paul sprang auf seine Füße und sah über Gerners Schulter zu den Sekretären, Postjungen, Art Directors und Buchhaltern hin, die sich am Wasserkühler versammelt hatten. »Ich freue mich auf eine glückliche Ehe zwischen der Agentur und dem Auftraggeber. Gut so, Ned?«
»Jawoll, mein Herr!« Collier hob Pauls schlaffe Hand hoch.
»Gut so, Mr. Gerner?« Paul hielt seine Hand einige Zoll von Gerners vorstehendem Bauch entfernt.
»Auf Gerner, Foss und Meyer können Sie sich verlassen. Wenn wir für jemanden arbeiten, stellen wir nicht einfach einen Haufen Annoncen zusammen, wir –«
»Ja ja, ich weiß, den Prospekt habe ich geschrieben …« Paul fühlte, wie Gerners feuchte Hand dieseine ergriff, und er wußte, daß die Sache beendet war. Nicht schlecht. Sie hätte viel dramatischer ausfallen können, aber trotzdem, nicht schlecht Besser jetzt nichts sagen, nur lächeln und sich verabschieden.
Er lächelte und verabschiedete sich.
Paul ging eilig die Grant Street hinauf und beobachte te, wie sein Spiegelbild von Schaufenstern zurücksprang, die vollgestopft waren mit schwarzen Teakholzmöbeln, blauen Jade-Schachfiguren, elfenbeinernen Elefantenbrücken, einfältig grinsenden Buddhas. Jeder Häuserblock hatte einen anderen Geruch, nach würzigen Hühnchen, nach Safran, an der Sonne getrocknetem Fisch und Reiswein, Litchinüssen und Kokosnüssen, gelegentlich mit einem Hauch von Sandelholz-Weihrauch.
An jeder Ecke standen Chinesen in ihren Überröc ken und betrachteten schweigend den langen Zug von Touristen. Drei griechische Matrosen stritten sich mit einem Droschkenfahrer, ein Texaner mit einem Zehn-Gallonen-Hut wurde beinahe umgerannt, da er mitten auf der Straße stand und eine Teleskop-Linse in einen der drei Fotoapparate einschraubte, die ihm vor der Brust baumelten.
Paul fand die Adresse, die Magdelaine ihm gegeben hatte; eine schmale Treppenflucht führte in das Kellergeschoß eines aus roten Ziegeln erbauten Warenhauses. Als er durch einen unbeleuchteten Flur ging, hörte er das Schmettern von Zimbeln, das Scheppern von Hörnern und Saiteninstrumenten und einen Chor nasaler Stimmen das vertraute Vorspiel zu Stier Nr. 2 wehklagen.
Die Tür am Ende führte in einen Tanzsaal. In einer Ecke drängten sich chinesische Musiker um ihre Instrumente, ohne auf die Tanzenden zu achten, die vergnügt auf und ab stampften, heulende Töne von sich gaben und in die Hände klatschten. Zwanzig oder dreißig Paare, mitten darunter ein Mädchen, das anscheinend ohne Partner tanzte. Es hatte ein kurzes weißes Seidenkleid an, das im Rhythmus an seine Oberschenkel hochflog, während es im Tempo den Stiertanz hüpfte. Die anderen gruppierten sich um das Mädchen herum und fingen an, seine Bewegungen nachzuahmen.
Niemand hatte Pauls Kommen bemerkt. Er stand im Schatten eines künstlichen Kirschbaums und sah zu den jungen Männern und Frauen hinüber, die in Nischen an einer Seite des Saals saßen. Er entdeckte vier, die an ihren Handflächen rochen.
Dann sah er sie.
Sie stand etwa drei Meter von ihm entfernt, halb verdeckt durch einen Zweig mit rosa Papierblumen, der aus dem gewölbten Rücken eines in Keramik gearbeiteten Drachens hervorwuchs. – Sie hätte hundert Jahre alt sein können, aber sie war schön. Das Alter hatte zarte Linien in ihr Gesicht eingeätzt, ihr Haar war so straff an ihrem Hals
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