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Der große Stier

Der große Stier

Titel: Der große Stier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robin Sanborn
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    Die sanfte Stimme hörte auf zu sprechen.
    Einige Pulsschläge Stille.
    Dann einzelne Laute von Tenortrommeln, gleich den ersten dicken Tropfen in einem Frühjahrsregen, darauf das Losbrechen der Trompeten, das in einen Sturm von Hörnern und Pfeifen überging, kräftig einsetzend, schmetternd, umwerfend und ineinanderklingend, ein einziger durchdringender Laut!
    Die feuchte Lava der Töne floß den Abhang von Sausalito hinunter bis ans Meer, als tausend Rundfunkgeräte das feurige Delirium von Stier ausspien. Paul, der nackt in den sich ergießenden Schallwellen stand, riß die Vorhänge vom Fenster weg und begann, durch das Zimmer zu tanzen.
    »Er hat recht, Ginger, er hat recht! Es ist Zeit, daß wir Schneekinder werden!«
    Tatsächlich war das der Tag, an dem die Bombe fiel.
    New York ertönte im Tempo der Stiermusik, in ei ner riesigen Konzerthalle aus Beton drängten sich frohe Schneekinder, dieeinander umarmten, lachten, sich küßten, auf den Straßen und in den Unterführungen tanzten. Rasende festliche Scharen beherrschten Baltimore, Des Moines, San Diego und alle Städte, in denen man die Stiermusik hörte.
    Der Festzug, der sich in Sausalito bildete, tanzte zur Golden Gate Bridge, traf den Festzug aus San Francisco und vermischte sich mit ihm, sie tanzten den Bridgeway entlang, sangen wortlose Lieder, wateten und tobten im niedrigen Gewässer des Pazifischen Ozeans.
    Paul verbrachte den Nachmittag zusammen mit Rachel, Furbish, Kate, Harvey, Lazio und Crimp auf den Höhen oberhalb der Stadt; sie pflückten wilde Blumen, hauptsächlich Löwenzahn, dazu ein paar weiße und ein paar purpurrote Blumen, die sie alle zusammenbanden, um Kränze und Girlanden zu winden.
    Daneben hatten sie auch Zeit, Wolken zu betrachten, Gedichte über Birken zu verfassen, das Zirpen der Vögel mit Gezirp zu beantworten, sich zu küssen und im Sonnenschein dieses frühen Frühlings zu kichern.
    Als Paul spät am Abend wieder heimkam, fand er Ginger am Fuße der Treppe – tot.
    Ihr Leib war durch den Abdruck eines schweren Reifens zerteilt, der wahrscheinlich zu einem lebenswichtigen Militärfahrzeug gehörte.
    Er weinte. Und um Mitternacht begrub er das Opfer des dritten Weltkrieges.
     
    Stoßwellen hallten durch den Sommer, jede Freigabe einer neuen Stierplatte verstärkte sie. Die heimliche Durchsage aus Kanada machte Stiermusik zu einer politischen Frage, und der darauf folgende Streit wurde durch die Massenmedien geschürt; er verwies Berichte über »den Krieg« und Geschichten über die Präsidentenwahl auf die letzten Seiten.
    Es war buchstäblich eine Frage von Schwarz oder Weiß.
    Weiß. Wenn man es zunächst für eine neue Laune der Teenager gehalten hatte, daß sie sich ganz in Weiß kleideten, so wurde doch diese Mode bald von allen übernommen, die noch nicht dreißig Jahre alt waren. Als direktes Ergebnis entfalteten die Schneekinder, wie man die Jüngeren nannte, eine fanatische Hingabe an die Sauberkeit. Zur Bestürzung ihrer Eltern pflegten sie sich an den Ufern eines Flusses oder Sees zu treffen, sich gänzlich auszuziehen und ihre Kleidungsstücke wie auch sich selbst zu waschen, wobei sie eigene Ver se zur Stiermusik improvisierten.
    Und zur Verwirrung der Polizei erschienen sie oft in Gruppen zu hundert oder mehr auf den Straßen der City, hoben jeden kleinen Fetzen auf und beendeten ihre Ar beit damit, daß sie das Pflaster tüchtig schrubbten.
    Wenn ein Geschäfts- oder Apartmenthaus, ja auch ein

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