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Der große Stier

Der große Stier

Titel: Der große Stier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robin Sanborn
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Rollbahn wackelte, erlosch das Licht, die Motoren setzten aus, und Paul biß sich auf die Zunge. Wenn schon nicht mehr genug Energie da ist, um eine Zwölf-Watt-Birne in Betrieb zu halten, wie können die zum Teufel noch mal erwarten, daß das Ding vom Boden hochgeht?
    Ein Jaulen aus dem Triebwerk ließ die Flügelspitzen leicht auf und ab springen. Harmonische Erschütterung. Starke Beanspruchung. Zerfall auf der Flugstrecke. Er ließ sich in seinen Sitz zurücksinken, als das Düsenflugzeug mit einem furchtbaren Zischen die Rollbahn herunterstreifte und sich bemühte, die Nase zum Himmel zu heben.
    Über dem Lake Huron tat Paul die Augen auf und sah auf die schwarze Rauchwolke zurück, die Toronto bedeutete. Er fühlte sich in seinem neuen Anzug unbehaglich, und trotz des Haarschnitts und der Haarwäsche juckte ihm der Kopf noch immer; er steckte sich eine Zigarette an und langte nach der Zeitung.
    Unter dem Titel »Achthundert Menschen in Los Angeles ums Leben gekommen« wurde der Erstic kungstod von Einwohnern der Stadt Los Angeles beschrieben; sie waren durch eine große gelbe Wolke erstickt, die sich zwischen der Vierundzwanzigsten Straße in Santa Monica und dem Beverly Drive in Beverly Hills niedergelassen hatte. Die Beamten der Luftverschmutzungskontrolle gaben ihrer Bestürzung Ausdruck, daß so viele Menschen es versäumten, die Warnungen vor Rauch und Nebel zu beachten; und ein Sprecher der Standard-Oil-Gesellschaft erklärte, daß »die Chancen einer gleichzeitigen Vermehrung der exakten Menge von Autoabgasen, Industriequalm und anderen Verschmutzungsfaktoren, die mit einem Temperaturum schlag zusammentreffen, eins zu fünftausend betragen.«
    Eine Aufrechnung nannte die Anzahl der getöteten feindlichen Soldaten und die Verlustzahl für amerikanische Soldaten, dazu eine Mitteilung aus Washington, daß die »Kosten pro Tötung« in »dem Krieg« jetzt auf 425 000 Dollar gestiegen waren.
    Paul las gerade den Bericht eines kanadischen Analytikers über die bevorstehende Wahl des US-Präsidenten, als die Stewardeß sich zu ihm beugte:
    »Kann ich Ihnen irgend etwas bringen, mein Herr?«
    »Ja«, sagte Paul und sah lächelnd zu ihr auf, »ich hätte gern eine von diesen kleinen Flaschen Gin.«
    »Gin?«
    »Wenn Sie schon dabei sind, können Sie mir nicht gleich zwei bringen? Es ist eine lange Strecke bis Vancouver.«
    »Aber … benutzen Sie keinen Lehm?« Sie war ganz verwirrt und sah schnell in beiden Richtungen den Gang entlang, als ob jemand horchen könnte.
    »Nur bei Parties.«
    »Ich weiß nicht, ob wir noch welchen haben. Wir bekommen fast gar keine Bestellungen mehr für Alkohol.«
    »Na ja, meine Liebe, sehen Sie mal zu, was Sie finden. Gucken Sie auch ins Handschuhfach.«
    »Ich werde es versuchen«, sagte sie und ging zum vorderen Teil des Flugzeugs; dabei wölbte sie zur Beruhigung eine Hand um ihre Nase.
    Paul faltete die Zeitung zusammen und fing an, innerlich eine Liste der Punkte aufzustellen, über die er heute abend mit Stier sprechen wollte. Es müßten mehr Fotos gemacht werden, mehr Tonbänder, mehr Filme. Und die neue Oper?
    Der Mann auf dem Platz hinter ihm schnupperte geräuschvoll an seinen Handflächen.
    Paul schnallte seinen Sicherheitsgurt auf, lehnte sich seitlich in den Gang vor und lächelte zufrieden, als er die Stewardeß auf sich zukommen sah, ein grau gewordenes Glas und zwei winzige Ginflaschen vorsichtig auf ihrem Tablett balancierend.
     
    Wenn es auch auf dem Flugplatz Vancouver International eine Routinelandung gegeben hatte, so verließ doch Paul das Flugzeug mit dem schwindelerregenden Gefühl, er habe wieder einmal dem Tode ein Schnippchen geschlagen. Die Sonne des Pazifiks war warm, die Luft jedoch kühl, und ihm prickelten alle Sinne bei dem vertrauten Salzgeruch des Ozeans.
    Als er das Flughafengebäude betrat, kam ein junges Mädchen, das einen kurzen weißen Rock und ein weißes Perlenarmband trug, von der Seite her auf ihn zu. Ohne ein Wort zu sagen, streckte sie den Arm hoch und fing an, ihm mit einem kühlen, nach Pfefferminz duftenden Tuch den Schweiß von der Stirn zu wischen.
    »Vielen Dank«, sagte Paul.
    »Ich hoffe, daß Sie sich jetzt wohler fühlen«, sagte das Mädchen.
    »Aber sicher. Sind Sie ein Schneekind?«
    »Ja. Wir möchten, daß Sie unsere Stadt gern betreten.«
    Paul lächelte und sah sich in der Vorhalle um. Andere Schneekinder, Jungen und Mädchen, erwiesen den neuankommenden Reisenden ähnliche Dienste. Überraschten Geschäftsleuten

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