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Der große Stier

Der große Stier

Titel: Der große Stier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robin Sanborn
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richtig.
    »Entschuldigen Sie bitte«, redete Paul den leeren Vorraum an. »Entschuldigen Sie, aber Ihre Tür war offen.«
    Aus einem anderen Raum schlugen gedämpfte Trommeln die Stiermusik. Er ging in die Richtung, aus der dieser Klang ertönte, blieb am Ende des Flurs stehen und sah in ein großes, weißes Wohnzimmer. Auf einem Stuhl in der hintersten Ecke, überrascht grinsend, saß Jerry Miller.
    »Jerry!«
    Jerry stand nicht auf. In der rechten Hand hielt er ein großes Glas, aus der linken baumelte der Hals einer zerbrochenen Whiskyflasche herunter.
    »Du alter Mistkerl!« sagte Paul und stürmte durch den Raum. »Was machst du denn hier?«
    Jerrys Gesichtsausdruck änderte sich nicht. Seine Augen waren wie die des kleinen Jungen vorhin am Flugplatz, glasig und unbewegt.
    »Jerry? Du bist betrunken, nicht wahr? Ich meine, ist sonst alles in Ordnung mit dir?« Paul blieb etwa einen Meter vor ihm stehen. Das kleine Loch in Jerrys Nacken, purpurrot und von verkrustetem Blut umgeben, war unglaublich.
    »Jerry, ist das … stammt das Loch in deinem Nac ken von einer Kugel?« Wie als Antwort auf seine Frage sah er jetzt die feuchten Blutspuren, die über Jerrys grüne Jacke verteilt waren.
    »Wie!« Paul trat zwei Schritte zurück. »Das ist ja entsetzlich, Jerry … wirklich!«
    Die Musik verstummte.
    Paul hielt den Atem an und sah sich wild im Raum um. Links war ein kleiner Durchgang, die Musik war von daher gekommen.
    »Ist da jemand?« Er lehnte sich gegen die Wand. »Stier? Sind Sie das?«
    Als die Gestalt im Durchgang erschien, sah Paul zuerst die weißen Schuhe, dann die weiße weite Hose, dann den blauen wollenen Sportmantel – und schließlich den vernickelten Revolver, den Walter in der Hand hielt.
    »Du!« Paul streckte den Arm vor, als ob er eine Kugel aufhalten wollte.
    »Ich wette, daß du überrascht bist …« Walters Wangen waren blutbeschmiert; er tupfte mit den Fingerrüden daran herum. »Du liebe Güte, ich hatte auch nicht gedacht, du würdest hier sein.«
    »Walter!«
    »Die Welt ist klein …«
    »Wirst du mich auch töten?« Paul ließ den Arm sinken.
    »Himmel, nein! Es ist einfach schrecklich, was ihm passiert ist.« Er wedelte mit seinem Revolver zu dem noch immer lächelnden Jerry hin.
    »Und was ist ihm passiert, Walter?«
    »Er hat mich mit der Flasche da geschlagen, der Dummkopf!« Walter zeigte seine blutigen Wangen als Beweis vor. »So – peng! – Und da war’s passiert. Und wo ich doch den ganzen Weg hinter ihm hergegangen bin.«
    »Was ist mit Stier, hast du den auch – ›peng‹ –?«
    »Ich würde mit Sicherheit sagen: Nein. Hör mal, das war wirklich eine tolle Sache, was du damals in Sausalito gemacht hast … uns auf den Gedanken zu bringen, das Mädchen wäre Stier!«
    »Ich hatte gemeint, das würde dir gefallen.«
    »Und dann – ssst – hast du dich absolut in Luft aufgelöst! Deshalb mußten wir uns auf diesen armen Kerl konzentrieren. Oh, und er war noch dazu dein Freund … das tut mir aber leid.«
    »Was wollte denn Jerry hier in Kanada?«
    »Ist das nicht ganz klar?« Walter nahm seine Hand gerade so lange von seiner Wange weg, daß er auf das Schwarzweißfoto von Stier auf dem Kaminsims zeigen konnte. »Er ist hierher gekommen, weil er ihn sehen wollte.«
    »Aber wieso wußte er denn, wo er ist?«
    »Das kannst du besser mir erzählen.«
    »Du hast ihn nicht gesehen? Du hast Stier nicht gesehen?«
    »Wahrscheinlich ist er bei seiner Frau …«
    »Seiner Frau? Wovon redest du denn?«
    »Von seiner Frau in Whitehorse, oben im Yukon-Territorium. Du meine Güte, erzähl mir ja nicht, du hättest nichts von ihr gewußt!«
    »Nein.« Paul sah auf den toten Jerry zurück. »Hab ich nicht.«
    »Es ist aber wirklich schwierig, von dir etwas zu erfahren. Ich hoffe, sie haben mehr Glück mit dir, wenn du wieder in Washington bist.«
    »Walter, du wirst mich doch nicht wirklich dorthin zurückbringen, wie?«
    »Aber das muß ich doch! Besser, als dich zu erschießen , nicht wahr?« Ein Blutgerinnsel bildete dicke Tropfen an der Spitze seines Kinns. »Mein Gesicht ist ein Greuel !«
    Paul besann sich auf den blauen Lehm in seinem Taschentuch und preßte dieHand fest gegen seine Hosentasche. »Du solltest da einen Verband drum haben, Walter.«
    »Es will einfach nicht aufhören zu bluten!«
    »Ich werde dir mein Taschentuch geben …«
    »Würdest du das tun? Ich bespritze mich selbst über und über.« Er senkte den Revolver in Richtung auf Pauls Magen. »Wirf es einfach

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