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Der große Stier

Der große Stier

Titel: Der große Stier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robin Sanborn
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Nächten gesehen, er war immer weiß gekleidet.«
    »Haben Sie mit ihm gesprochen?«
    »Ja. Es war alles wie ein Traum. Oh, er war viel älter als ich, aber in vielem war er wie ein Kind. Wenn wir uns liebten, war das … sehr sonderbar. Soll ich Ihnen noch Brandy einschenken?«
    »Danke, ich habe noch.«
    »Als der Sommer vorbei war, meinte ich, daß ich ein Kind von ihm bekommen würde, und ich sagte es meinem Vater.«
    »Wie hat er es aufgenommen?«
    »Sehr übel. Er hat sich erschossen. Richard bestand darauf, daß wir am Tage seiner Beerdigung heirateten.«
    »Haben Sie das getan?«
    »Ja. Am Abend des gleichen Tages.«
    »Sie haben Ihre Mutter gar nicht erwähnt.«
    »Meine Mutter ist gestorben, als ich noch ganz klein war.«
    »Lebten die Eltern von Stier, von Ihrem Gatten, denn noch?«
    »Er hat nie von ihnen gesprochen. Aber ich glaube, sein Vater war ein Deutscher, der sich im Yukon-Territorium aufhielt, um nach Gold und wertvollen Metallen zu suchen. Richards Mutter war Indianerin, ich glaube aber nicht, daß sein Vater sie jemals geheiratet hat. Ich weiß es nicht genau. Doch dies hier – all die Möbel, sehen Sie? – das gehörte meinem Vater. Richard mochte es nicht leiden, er war der Meinung, daß alles weiß sein müßte.«
    »Warum?«
    »Ich weiß es nicht. Er sagte, daß er die ganze Welt weiß machen würde. Und jetzt ist er dabei, das zu tun. Aber hier nicht, hier nicht mehr …«
    Paul sah auf seine Uhr. Weniger als eine Stunde bis zum Mittag, aber der Himmel draußen war noch dunkel.
    »Ich hätte gern einen kleinen Schwips, damit ich Ihnen alles erzählen kann.«
    »Das ist ein guter Brandy.«
    »Ich habe Ihre Botschaften an die Schneekinder gelesen, wissen Sie das?«
    »Dann kaufen Sie wenigstens die Schallplatten Ihres Gatten …«
    »Nein. Ich lese nur die Rückseiten der Plattenhüllen. Ich höre lieber Mozart. Oder Grieg, ich habe Grieg sehr gern. Aber in Wien wollte ich Mozart hören.«
    »Wann sind Sie denn nach Wien gegangen?«
    »Das war 1971, wir hatten noch kein Jahr hier gelebt. Es war etwas Geld da von Vaters Testament, und Richard wollte Musik studieren. Ach, war das schön, wir beide in einem kleinen Apartment mit dem Ausblick auf die Donau … Richard schrieb vom frühen Morgen bis nach Mitternacht seine Musik. Aber als die Männer sich mit ihm in Verbindung setzten, war alles vorbei …
    »Welche Männer?«
    »Richard sagte, es wären neun. Er hat nie ihre Namen genannt oder gesagt, wo sie herkamen, er nannte sie nur Die Neun. Ich bin überzeugt, daß sie jetzt in Kanada sind. Zuerst habe ich sogar gedacht, Sie seien vielleicht einer von ihnen. Jetzt sind Sie dran, Brandy einzuschenken, wollen Sie?«
    »Sehr gern …«
    »… damals hat Richard aufgehört, mich zu lieben. Die Neun haben seine Seele gefangengenommen. Er schrieb noch seine Musik, aber er begann an anderen Sachen zu arbeiten, die ich nicht verstehen konnte.«
    »Was für Sachen denn?«
    »Einmal ist er abends mit kleinen Flaschen voller Chemikalien nach Hause gekommen, die Die Neun ihm gegeben hatten. Richard wartete, bis das Mondlicht zum Küchenfenster hereinleuchtete, und dann hat er mir gesagt, wie ich die Chemikalien in einer steinernen Schale mischen sollte … während er durch eine Kristall-Linse Mondlicht auf sie fallen ließ. Klingt es unsinnig?«
    »Ja, aber vertraut.«
    »Richard hat gesagt, im Himmelsraum wären Menschen, und er würde mit ihnen reden können, wenn er nur den rechten Laut dafür schaffen könnte. Sehen Sie diesen Ring? Richard hat ihn mir gegeben, etwa zu der Zeit, als wir geheiratet haben …«
    »So einen weißen Edelstein wie diesen habe ich noch nie gesehen.«
    »Er stammt aus dem Norden. Einmal in Wien wach te ich nachts vom Schlaf auf und hörte einen sehr seltsamen Laut. Ich dachte, noch zu träumen! Als ich in die Küche ging, sah ich den Ring in der Luft schweben! Richard packte mich. ›Siehst du?‹ rief er aus, ›ich habe dir doch gesagt, daß ich das Vibrieren deiner Hände brauche!‹ So ist es fünf Jahre lang weitergegangen. Oft habe ich ihn wochenlang nicht gesehen, und wenn ich ihn dann wirklich sah, war er wie ein anderer Mann. Nein, nicht wie ein Mann – wie ein Geist.«
    »Wie meinen Sie das?«
    »Er fing an, das zu durchleben, was er früher schon einmal durchlebt hatte, so sagte er. Oder was er später einmal durchleben würde. Er sagte, er könnte sich daran erinnern, daß er einmal auf einem Planeten gelebt habe, der zwölf Monde hatte. Ein anderes Mal hat

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