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Der große Stier

Der große Stier

Titel: Der große Stier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robin Sanborn
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sehen!«
    »Dort …«
    »Das bedeutet, daß es bald sehr kalt wird. Die Son ne wird durch die Eiskristalle im Himmelsraum reflektiert. Ähnlich wie der Regenbogen, den ihr draußen habt, aber hier oben gefriert die Feuchtigkeit.«
    »Welches ist die wirkliche Sonne?«
    »Ich glaube, die linke. Sie ist etwas heller. Aber das hat nichts zu sagen; egal, welche wir auch aussuchen, es ist in jedem Fall die richtige.«
    »Berichtigung: Keine, die wir aussuchen, ist die wirkliche Sonne. Alles, was wir sehen können, ist der Lichtreflex der Sonne, von der Stelle, wo sie vor acht Minuten stand.« Er erhob sein Glas. »Soviel über die Wirklichkeit.«
    Adrianne dachte ein paar Minuten darüber nach. Schließlich sagte Sie: »Logik verwirrt mich. Ich kann an Dinge glauben, auch wenn ich sie nicht sehe.«
    »An Stier zum Beispiel?«
    Adrianne blickte in ihr Glas. » Du mußt auch gerade von Richard Stier sprechen … du schreibst für ihn, du arbeitest für ihn, und dabei hast du ihn noch nie gesehen.«
    »Nenne mich doch einfach Paul Odeon, den Sonnenhund-Boy.«
    »Aber warum tust du das eigentlich?«
    »Sonnenhunde haben keine Gründe, sie sitzen eben da und reflektieren.«
    »Du machst dich über mich lustig …« Sie begann, sich von ihm abzuwenden.
    »Verzeihung«, sagte Paul und berührte leicht ihre Schulter. »Vielleicht bin ich mir selbst nicht sicher. Ich weiß nur, wie das Leben vorher war … ›der Krieg‹ und die Luftalarme und der Stumpfsinn und der Dreck, und jeder zog am selben blutigen dicken Stück Fleisch. Und das starre Gefühl, daß nichts von irgendwelcher Bedeutung ist. Man mußte innerlich absterben, nur um einfach am Leben zu bleiben, man durfte sich gar keine Gedan ken um die Dinge machen, sonst wäre man verrückt geworden … ich habe dir erzählt, daß ein Freund von mir ermordet wurde. Das macht mir etwas aus, natürlich, aber weißt du, was mir durch den Kopf geht? Ich hasse ihn, weil er so dumm war, sich ermorden zu lassen …«
    Er wollte einen Schluck nehmen, aber er sah, daß sein Glas leer war.
    »Stier ist im Begriff, all das zu verändern. Nicht einfach durch seine Musik, sondern durch sich selbst. Die Schneekinder sind nur ein Anfang; nach der Wahl wird das ganze Land von einer einfachen, schönen Idee beherrscht sein – von der, daß die Menschen sich selbst erschaffen können.«
    »Ist das wirklich wahr mit der Wahl? Im Radio hat man solche Gerüchte gehört.«
    »Ja. Es ist wahr.«
    »Richard wird niemals Premierminister werden.«
    »Warum nicht?«
    »Er ist Musiker, über Politik weiß er nicht Bescheid. Er würde niemals gegen einen erfahrenen Politiker wie Fenton Knowles gewinnen.«
    »Fenton Knowles? Ist das der … Ist er groß, ziemlich dünn und rothaarig?«
    »Ja, er ist der Vorsitzende der konservativen Partei. Der Premierminister hat schon –«
    Paul brach in lautes Gelächter aus.
    »Was ist daran so komisch?«
    »Den habe ich kennengelernt! Als ich noch in Stratford war! Er war es, der mich gebeten hat, mich für die Wahl von Stier einzusetzen!« Paul stellte sein Brandyglas auf den Tisch und fing an, auf und ab zu gehen. »Fantastisch! Und du meinst, Stier wäre kein Politiker …«
    »Das verstehe ich nicht.«
    »Es ist genau das gleiche, was in den Vereinigten Staaten 1964 bei der Präsidentenwahl passiert ist. Die Republikaner suchten sich als Gegenkandidaten des Präsidenten einen vom ultrarechten Flügel aus, weil sie wußten, daß er verlieren würde. Der Vorteil war der, daß der Präsident auch zum rechten Flügel gehörte und nicht Farbe bekannte, ehe die Wahl nicht vorbei war. Verstehst du nicht? Knowles unterstützt eigentlich Stier, aber er läuft Sturm gegen ihn, damit er verlieren kann, ganz nach seiner Absicht. Aber … außer es ist …«
    »Was außer ?«
    »Außer wenn es andersherum ist. Hast du das Foto von Stier auf der Kassettenausgabe von Iliyu gesehen?«
    »Ja, ich –«
    »Ist er das? Bist du sicher, daß er es ist?«
    »Natürlich bin ich sicher. Es ist ein altes Foto. Er trägt darauf seine Silberfuchs-Parka, ich habe sie noch.«
    »Wo?«
    »Nebenan. Weshalb?«
    »Zeig sie mir, Adrianne, bitte …«
    »Du kannst sie ruhig sehen.«
    Paul folgte ihr in ein kleines Zimmer, das von der Diele aus zugänglich war. Sie machte die Tür eines Wandschranks auf, verschwand darin und kam mit der Parka in der Hand wieder heraus.
    »Das ist sie?« fragte Paul.
    »Ja.«
    »Hast du was dagegen, wenn ich sie anziehe?«
    »Du kannst sie tragen, aber

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