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Der große Stier

Der große Stier

Titel: Der große Stier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robin Sanborn
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warum?«
    »Nur um mich warmzuhalten.« Paul lächelte ihr zu. »Wir haben einen Sonnenhund, erinnerst du dich? Das bedeutet, daß es sehr kalt sein wird, wenn wir nach Dawson kommen.«
     
    Der Flug nach Dawson dauerte zwei Stunden und zwanzig Minuten. Außer ihnen waren nur sieben ande re Passagiere in dem Flugzeug, einer klapprigen DC-3, die sich hustend und zitternd anstrengte, in der dünnen arktischen Luft ihre Höhe beizubehalten. Die Sonnen versanken beide hinter dem Horizont und ließen die schneebedeckten Täler unten in grünem und purpurnem Schatten, die Baumwipfel auf den Bergen in flammendem Scharlachrot, als die letzten Strahlen ihre eisverkrusteten Zweige entzündeten.
    Über Mayo ging das Flugzeug im Sturzflug hinunter, um den Passagieren einen besseren Blick auf einen Elch zu ermöglichen, der am Rande einer kleinen Lichtung äste. Niedrig über Gravel Lake wurden zwei simulierte Angriffsflüge ausgeführt, um einen großen schwarzen Bären taumelnd einen Abhang hinunterkullern zu lassen.
    Das Flugzeug war unbeheizt und die Luft dünn. Ei ne junge Stewardeß, deren Proportionen durch zwei Wollpullover ergänzt wurden, scherzte mit den Passagieren und versorgte sie mit heißem Rum oder weißemLehm oder auch mit beidem, als Schutz gegen Erkältungen und Nasenbluten.
    Paul und Adrianne tranken Rum.
    Er erzählte ihr von Sausalito, von der Nacht auf dem Mount Tamalpais, von den Wochen, die er in Indianerreservaten verlebt hatte, vom »Adventuary« in Stratford und von dem Zwischenfall in Stiers Apartment in Vancouver. Er versuchte, sich an alle Einzelheiten, an jeden Gesprächsfetzen zu erinnern und horchte die ganze Zeit kritisch dem Klang seiner Stimme, in einem Versuch aus gültigen Urteilen Schlußfolgerungen abzuleiten. Aber nach seinem dritten Glas Rum wurde ihm die schöne Frau, die neben ihm saß, wichtiger als die Logik.
    Die Verbindung von Brandy am Morgen und Rum am Nachmittag hatte ihren französischen Akzent verstärkt und sie aufgeschlossen gemacht; bis das Flugzeug in Dawson landete, hatte sie Paul schmeichelnd zu einem »So-tun-als-ob-Spiel« überredet.
    »Spielen wir Naasook aus dem Norden«, sagte Paul. »Oder heißt er Nanook?«
    »Die Geschichte kenne ich nicht«, lachte sie. »Der arme Naasook, er wird überrascht sein, daß wir nicht mehr da sind. Ich habe eine Notiz für ihn hinterlassen; ich hoffe, daß er sie findet.«
    »Wie war’s denn mit einem Mountie und einem Gefangenen?« schlug Paul vor. »Ich bin Sergeant Preston, und du kannst ein geriebener, dreckiger, bärtiger Französisch-Kanadier sein.«
    »Aber ich bin ja eine Französisch-Kanadierin!«
    »Dann bist eben du der Mountie ...« Er hob ihr Han d gelenk hoch und schloß es mit imaginären Handschel len an sein eigenes an. »Mein Gott, du würst sahn, du kommst nie merr lebendiesch aus diesär Wildnis herrous!« Er hob sein Glas mit der freien Hand und verschüttete Rum, als das Flugzeug auf den Boden prallte und bis zum Halteplatz rollte.
    Paul war enttäuscht, als er statt eines von bellenden Eskimohunden gezogenen hölzernen Schlittens den langen gelben Limousinenbus sah, der sie in die Stadt fahren sollte. Er setzte sich nach hinten, hielt sein Handgelenk dicht an das von Adrianne und hatte sein mageres Vokabular französischer Flüche bald erschöpft. Die anderen Passagiere waren tolerant und taten so, als ob sie nicht hörten, wie sein französischer Akzent zuerst in einen deutschen Dialekt und dann ins Ungarische überging, als er mit blutigen Einzelheiten schilderte, wie er seine verkrüppelte Stiefmutter zuerst mit einem zerbro chenen Axtstiel ermordet und sie dann vergewaltigt hat te. Als sie aus dem Bus ausstiegen, waren Geräusche zu hören, die Gewehrschüssen ähnelten.
    »Was ist das?« fragte Paul.
    »Gesetz des Nordens«, antwortete Adrianne. »Bei uns werden die Verurteilten zur Zeit des Sonnenuntergangs hingerichtet.«
    »Nein, wirklich … was war das?«
    »Die Feuchtigkeit in den Bäumen – wie nennt ihr sie? – der Saft. Wenn es so kalt wie jetzt ist, gefriert der Saft und explodiert.«
    Was sie sagte, wurde durch zwei weitere »Gewehrschüsse« unterbrochen. Paul blickte angestrengt in die Dunkelheit, sah aber nur die Umrisse kleiner Holzhäu ser zu beiden Seiten der Straße, alle durch die treiben de, gefrorene Tundra winklig geneigt.
    Siefolgten den anderen Passagieren in das Hotel, wo ihre Gesichter in der heißen Luft und im Zigarettenrauch brannten. Im grellen Licht einer Reihe

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