Der große Stier
Warteraums stand, hätte er beinahe aus reinem Vergnügen geschrien. Er drehte sich um, damit auch seine Rückseite warm würde, und beobachtete, wie die anderen Passagiere zur Tür hereingestampft kamen. In der entgegengesetzten Ecke standen Leute, die Fluggäste erwarteten oder auf dem Rückflug nach Vancouver fliegen wollten; keiner von ihnen erinnerte auch nur im geringsten an das Foto von Stier.
Die Wärme, die von den Knien aus bis in die Schultern hochstieg, war höchst angenehm – darum merkte Paul zuerst gar nicht, daß der junge Mann, der auf ihn zuging, seinen Namen rief.
»Paulo Dehon? Paulo Dehon?« Er trug Lederstiefel und eine pelzgeschmückte Parka. Seine Gesichtszüge waren anders als die aller Indianer, die Paul bisher kennengelernt hatte; seine Nase und sein Mund lagen in einer Vertiefung wie in einer Untertasse, wodurch die viereckige Stirn und das Kinn betont wurden; seine Zähne waren klein und ungleichmäßig, seine Hautfarbe erinnerte an überreife Bananen. Ein Eskimo, entschied Paul.
»Paulo Dehon? Kommen. Wir fahren.«
»Wohin? Wohin fahren wir?« Paul wich nicht von dem Ofen.
»Stier-Haus. Du kommen, jetzt.«
»Ist der Wagen geheizt?«
Statt einer Antwort zog sich der junge Mann seine Fausthandschuhe aus Pelz an.
»Warm im Wagen?« beharrte Paul.
»Stier-Haus. Du kommen.«
Paul stampfte mit beiden Füßen auf, ohne sie zu spüren, vergrub die Hände in den Taschen seines Mantels und folgte dem jungen Eskimo durch eine Tür, die zu einem primitiven Parkplatz führte. Der Eskimo zeigte auf einen Jeep, der am äußersten Ende geparkt war. Paul war sich nicht ganz sicher, aber er meinte, als er durch den knirschenden Schnee stapfte, daß er spür te, wie ihm wärmer wurde.
Er saß in gefrorenem Schweigen da, als der Jeep langsam hinter einer Reihe von Wagen her fuhr, denen ein voranfahrender großer, gelber Schneepflug etwas Hilfe leistete. Als der Eskimo die Bremsen anzog und auf ein zweigeschossiges Haus am Straßenrand zeigte, nickte Paul nur.
»Da drin. Du gehen. Stier-Haus«, sagte der Eskimo.
Paul trat vorsichtig durch den Schnee, als ob er unter ihm nachgeben könnte. Er fand besseren Halt auf dem Gehsteig, von dem der Schnee weggeschippt und auf den eine Mischung von Sand und Salz aufgestreut worden war; er ging durch die offenstehende Haustür, ohne seine Zeit damit zu vertrödeln, die Schuhe abzustreifen.
Er machte die Tür hinter sich zu und knöpfte den Kragen seines Mantels auf.
»Naasook?« Die weibliche Stimme kam irgendwoher aus dem Obergeschoß. »Mach es Mr. Odeon im vorderen Zimmer bequem. Ich komme bald herunter.«
Paul sah über seine Schulter zurück, um sich zu vergewissern, daß kein Naasook hinter ihm war. Er dachte an die Schußwunde in Jerrys Nacken, an das Blut, das Walter von der Wange heruntergetropft war; er hatte nicht die Absicht, den Platz, auf dem er stand, zu verlassen.
Etwas stimmte nicht. Genau gesagt, alles stimmte nicht. Die Treppe, die Wände, der Fußboden – nichts war weiß. Warum stand die Tür offen? Warum kam Naasook nicht herein? War das oben wirklich Stiers Frau? Und sprach sie mit einem leichten französischen Akzent, war das möglich?
Sie erschien oben auf der Treppe, in einer Hand eine dampfende Kaffeekanne, in der anderen eine Zigarette. Ihr Haar war, einem Turban gleich, mit einem grünen Handtuch umschlungen, die Augen waren hinter den Schlitzen einer großen arktischen Schneebrille verborgen. Der hochgestellte Kragen ihres gesteppten Morgenrocks bedeckte Hals und, Kinn, an den Füßen trug sie flaumige rote Hausschuhe. Als sie die Treppe he runtergekommen war, stellte Paul fest, daß er ihre Na senspitze anredete.
»Guten Morgen! Ich bin Paul Odeon. Naasook – oder wie er heißt – ist in dem Jeep weggefahren. Ich dachte, es sei am besten, wenn ich hier warte.«
»Ich bin Adrianne de l’Isle Stier.«
»Mrs. Stier …« Paul machte eine leichte Verbeugung.
Sie lachte.
»Ich bitte sehr um Entschuldigung, daß ich so früh komme«, sagte Paul kalt, »und Ihnen nicht die Zeit lasse, sich anzuziehen.«
»Entschuldigen Sie bitte mein Aussehen.« Sie trank langsam und bedächtig einen Schluck Kaffee. »Die Brille trage ich, weil ich einen Kater habe. Zu viel Whisky gestern abend, und ich trinke ihn zu schnell.«
»Mein Beileid!«
»Möchten Sie einen Kaffee haben?«
»Wirklich, Mrs. Stier, ich bin wegen einer geschäftlichen Angelegenheit gekommen.«
»Aber natürlich.«
»Ich bin hier, um mit Ihrem Gatten zu
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